Mosaik
ließ.
»Komm zum Netz, Kathryn.« Die Tennislehrerin Cameron
schritt zu ihrer Seite des Netzes, hielt dabei den Schläger in der Hand. Sie war eine kleine, muskulöse Frau mit lockigem blondem Haar und einem stetigen Lächeln auf den Lippen. Als Erwachsene wollte Kathryn ebenso aussehen, doch trotz ihrer neun Jahre begriff sie, daß ihr Haar nie Ähnlichkeit mit dem von Cameron haben würde – ebensowenig wie ihr Tennisspiel.
»Ich möchte deinen Griff überprüfen.«
Kathryn hielt ihren Schläger in Vorhand, und Cameron sah sich alles genau an.
»Vielleicht besteht das Problem darin«, sagte sie. »Dein Griff ist zu sehr nach rechts verschoben, und dadurch winkelst du den Schläger an. Siehst du?«
Cameron schwang Kathryns Arm. »Du schlägst den Ball nach oben – deshalb trifft er nur selten das Spielfeld. Dreh die Hand ein wenig zur Seite.« Sie neigte Kathryns Hand etwas nach links.
»Damit sollte es dir gelingen, horizontal zu schlagen.«
Es fühlte sich schrecklich an. Kathryn zweifelte daran, mit einem solchen Griff den Ball überhaupt treffen zu können. Ihre Hand schien sich in einen Fremdkörper zu verwandeln, in eine Klaue, die den Schläger umklammert hielt. Sie probierte einen Schlag und gewann dabei den Eindruck, den Arm zum erstenmal zu benutzen.
»So geht es nicht«, sagte Kathryn.
Doch Cameron ging nicht auf sie ein. »Es fühlt sich seltsam an, weil du es anders gewohnt bist. Aber bestimmt dauert es nicht lange, bis du den neuen Griff für ganz natürlich hältst.«
Kathryn gab keine Antwort und kehrte zur Grundlinie zurück.
Unterwegs sah sie etwas, das ihre Stimmung noch weiter verschlechterte: Hobbes Johnson. Sein Unterricht begann direkt nach ihrem, und er traf ein wenig zu früh ein. Das fehlte ihr gerade noch: Hobbes Johnson, der beobachtete, wie sie sich lächerlich machte. Er war ein oder zwei Jahre älter und noch dünner als die Vogelscheuchen in den Kornfeldern. Die oberen Schneidezähne standen ein wenig vor, und dunkles, wirres Haar ragte unter der Tennismütze hervor. Niemand trug eine Tennismütze; es gab einfach nichts Dämlicheres. Typisch für Hobbes.
»Hallo, Kath!« rief er und winkte. Sie gab keine Antwort und fand es gräßlich, Kath genannt zu werden. Niemand sprach sie so an, nur dieser Dummkopf. Er merkte nicht einmal, daß sie ihn ignorierte, bestand darauf, auch weiterhin zu lächeln.
Kathryn drehte sich um, wartete auf die Bälle der Lehrerin und versuchte, ein Gefühl für den neuen, umständlichen Griff zu bekommen. Den ersten Ball schlug sie ins Netz, und der zweite landete auf dem Boden davor. Sie glaubte zu spüren, wie sich Hobbes’ Blick in ihren Rücken bohrte. Was für eine Demütigung!
»Schließ die Hand fester um den Griff, wenn du zuschlägst!«
rief Cameron. Kathryn kam der Aufforderung nach, und der nächste Ball flog weit nach links. Sie versuchte es erneut und verfehlte wieder das Spielfeld.
»Ich kann es einfach nicht!« jammerte sie und ließ den Schläger fallen. Sie hätte alles für die Erlaubnis gegeben, sofort aufzuhören. Doch Cameron ließ nicht locker. »Der Unterricht geht erst in fünf Minuten zu Ende, und wir werden jede einzelne Sekunde nutzen. Konzentrier dich jetzt ganz auf den Ball. «
Während der nächsten fünf Minuten schaffte es Kathryn, den Ball zehnmal übers Netz zu schlagen. Alle anderen Bälle verfehlten das Ziel. Als Cameron den Unterricht für beendet erklärte, brannten Tränen des Zorns in Kathryns Augen. Sie wagte es nicht, Hobbes anzusehen. Mit gesenktem Kopf, den Blick auf den Boden gerichtet, kehrte sie zu ihrer Sporttasche zurück.
»Ich gehe für ein paar Minuten ins Gebäude, Hobbes«, sagte Cameron. »Was hältst du davon, dich mit Kathryn
aufzuwärmen?«
»In Ordnung«, erwiderte Hobbes bereitwillig. Die Lehrerin schritt zum Büro des Sportzentrums.
Kathryn hielt den Kopf auch weiterhin gesenkt, öffnete die Schutzhülle aus Kunststoff und schob den Schläger hinein.
Schweiß tropfte von ihrem Gesicht; ihr war heiß, und außerdem brannte noch immer das Feuer des Zorns in ihr. Voller Sehnsucht dachte sie an den kalten Saft, der sie zu Hause erwartete.
»Möchtest du den Ball nicht ab und zu mal treffen?« fragte Hobbes. Ehrliche Verwunderung erklang in seiner Stimme.
»Ich verabscheue Tennis«, erwiderte Kathryn voller Nachdruck.
»Ich verstehe nicht, warum meine Eltern solchen Wert darauf legen, daß ich mich mit diesem Spiel befasse. Meiner Ansicht nach ist es die reinste
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