Moskauer Diva
anfangen! Ich übernehme den Text des Erzählers!«
Niemand außer Fandorin hörte ihm zu. Erast Petrowitsch aber hatte plötzlich eine Idee.
Warum sollte er nicht George Dewjatkin zu seiner Operation mitnehmen?
Er hatte natürlich seine Eigenheiten, aber dafür war er sehr mutig – Fandorin brauchte nur an den vergifteten Degen zu denken. Das erstens.
Er war Offizier gewesen. Das zweitens.
In kritischen Situationen verlor er nicht den Kopf, wie die Geschichte mit der Schlange bewiesen hatte. Das drittens.
Und, was besonders wichtig war: Er war nicht geschwätzig. Er hatte niemandem etwas von Fandorins Ermittlungen zum Tod von Smaragdow verraten. Mehr noch: Er hatte ihn danach kein einziges Mal mit Fragen belästigt, obgleich Erast Petrowitsch oft seinen fragenden, forschenden Blick gespürt hatte. Eine für einen Schauspieler höchst seltene Zurückhaltung!
Ja, in der Tat. Den Plan der Operation konnte er korrigieren und die Rolle des Assistenten auf ein Minimum reduzieren. Im Grunde waren Masas Talente – Kampferfahrung, Tatkraft und blitzschnelle Reaktion – hier nicht erforderlich. Zuverlässigkeit und Härte würden genügen. Und über diese Eigenschaften schien George durchaus zu verfügen. Nicht umsonst hatte Stern ihn zu seinem Assistenten gemacht.
Das Gespräch mit dem Regieassistenten bestätigte Fandorin in seinem spontan gefassten Entschluss.
Erast Petrowitsch führte den enttäuschten Dewjatkin in einen Seitengang der Bühne.
»Sie haben mir k-kürzlich Ihre Hilfe angeboten. Nun ist die Stunde gekommen. Sind Sie bereit? Aber ich muss Sie warnen: Die Sache birgt ein gewisses Risiko.« Er korrigierte sich. »Ich w-würde sogar sagen, ein erhebliches Risiko.«
Dewjatkin dachte keinen Augenblick nach.
»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«
»Sie fragen nicht einmal, was ich von Ihnen will?«
»Das ist nicht nötig.« George schaute ihn mit seinen runden Augen an, ohne zu blinzeln. »Erstens sind Sie ein Mann mit Erfahrung. Ich habe gesehen, mit welchem Respekt der Polizeibeamte Sie angehört hat.«
»Und zweitens?«, fragte Fandorin neugierig.
»Zweitens können Sie nichts Unwürdiges von mir verlangen. Sie haben eine noble Seele. Das erkennt man an Ihrem Stück und an Ihrer ganzen Art. Besonders weiß ich es zu schätzen, dass Sie sich nach unserem Gespräch letztlich einer gewissen Person gegenüber tadellos verhalten haben. Und dass Sie niemandem von meiner unglückseligen Schwäche (ich rede von Mademoiselle Durowa) erzählt haben. Kurz, was Sie auch vorhaben – ich bin bereit, Ihnen zu folgen. Umso mehr, wenn es etwas Gefährliches ist.« Der Assistent reckte stolz das Kinn. »Wenn ich ablehnte, würde ich mich selbst nicht mehr achten.«
Er war natürlich ein wenig lächerlich mit seinem hochtrabenden Pathos, aber zugleich auch rührend. Fandorin, der immer sorgfältig auf seine Garderobe achtete, bemerkte selbstverständlich, dass Dewjatkin ärmlich gekleidet war: Das Jackett war sauber, aber abgetragen; kein Hemd, sondern nur eine Hemdbrust; die Schuhe geputzt, aber die Absätze geflickt. Noah Nojewitsch entlohnte seinen Assistenten nicht eben großzügig – vermutlich nach der »dritten Gruppe«, entsprechend den Rollen, die er spielte.
Und das nur, dachte Fandorin, weil in Sterns Menschheitsmodell eine wichtige Figur fehlte. Sie war recht exotisch, doch ohne siewar die Palette der Rollenfächer unvollständig und das Leben ohne Würze. Wobei diese Gestalt in der Literatur häufiger anzutreffen war als im täglichen Leben. George wäre die ideale Besetzung für den »edlen Sonderling« – Don Quichotte, Tschazki 7 , Fürst Myschkin.
Zweifellos konnte Dewjatkins Tolpatschigkeit zu unvorhersehbaren Problemen führen. Erast Petrowitsch versprach sich in Gedanken, die Rolle seines Assistenten extrem zu vereinfachen. Zu einer ernsthaften Operation nahm er lieber einen linkischen, aber edlen Menschen mit als irgendeinen selbstsüchtigen Polizisten, der im letzten Moment beschließt, dass ihm das Hemd näher ist als der Rock. Ein Mensch mit einem ausgeprägten Ehrgefühl konnte einen anderen wohl aus Fahrlässigkeit im Stich lassen, niemals aber aus Niedertracht oder Feigheit.
Wie viel leichter das Leben doch wäre, wenn jeder Mensch Achtung vor sich selbst hätte, dachte Fandorin nach dem Gespräch mit dem Assistenten.
Es gab eine menschliche Spezies, der Erast Petrowitsch stets mit Abscheu begegnete – Menschen, die ohne die geringste Scheu von sich sagten: »Ich weiß,
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