Moskauer Diva
vom Erfolg, sagte Masa:
»Hieh ise noch eine seh intelessante Notize. ›Das Leben deh Bälen in Gefah‹.« Dann las er einen Artikel über die rätselhafte Erkrankung zweier Braunbären vor, deren Geheimnis der Tierarzt Tobolkingelüftet hatte. Es wurde vermutet, die Tiere hätten die Pest, aber Masa verkündete den Zuhöreren freudig: ›Nach Ansichte des Doketuhs lüht die Klankeheit von übehmäßigeh Onanie, der sich die Bälen von felüh bis späte hingaben. Das ist bei Bälen lecht selten, häufig abeh bei Affen und Kamelen anezuteleffen.‹ Das ise wah! Ichi habe selbse im Dschungel ofte gesehen, wie die Äffechen …«
Er stockte, sein rundes Gesicht spiegelte Unverständnis: Wieso wandte sich Wassilissa Prokofjewna plötzlich empört ab, während die Intriganten hysterisch lachten?
Da tat der Ärmste Fandorin leid. Die Unterschiede im Erziehungskodex, in den von Kindheit an aufgesogenen Vorstellungen davon, was anständig war und was unanständig, waren eine schwer zu überwindende Hürde. Seit fast dreißig Jahren lebte der einstige Junge aus Yokohama nun fern von seinem Japan, konnte sich aber noch immer nicht an die Regeln der »Rothaarigen« gewöhnen. Mal sagte er etwas aus der Sicht der Grande Dame Skandalöses, dann wieder wurde er selbst schamrot wegen etwas aus westlicher Sicht vollkommen Harmlosem – zum Beispiel, weil eine sitzende Frau ihren Schirm fallen gelassen und ihn mit der Fußspitze zu sich herangezogen hatte (unglaublich vulgär!).
Von Mitleid zu Verständnis ist es nur ein Schritt. Erast Petrowitsch schaute den erröteten Masa an – und fühlte sich, als würden ihm die Augen geöffnet. Der Japaner hatte sich absichtlich an Elisa herangemacht und war auch nicht zufällig nach einer nicht zu Hause verbrachten Nacht mit ihr zusammen hergekommen! Das war nicht die Tat eines Verräters, im Gegenteil, das war die Tat eines treuen Freundes. Da Masa seinen Herrn gut kannte und sah, in welch elendem Zustand der sich befand, wollte er ihn von seiner zerstörerischen Obsession auf brutale, aber wirksame Weise kurieren. Und zwar nicht mit Worten, die hätten ohnehin nichts ausgerichtet. Stattdessen demonstrierte er Fandorin, was die Frau wert war, die – ausschließlich dank einer unheilvollen Verkettung von Zufällen – eine Bresche indas verhornte Herz geschlagen hatte. Dieser kleinen Schauspielerin war es ganz egal, wen sie eroberte – Hauptsache, die Trophäe war präsentabel. Dem jungen Kornett hatte sie den Kopf verdreht, ihn jedoch nicht in ihr Bett gelassen – dafür war er ein zu kleines Licht. Anders ein erfolgreicher Autor oder ein populärer japanischer Schauspieler. Darüber musste man sich nicht wundern oder ärgern. Schließlich hatte Fandorin das von Anfang an gespürt, als er noch über den besten Weg zum Herzen (nein, lediglich zum Körper) von Frau Lointaine nachgedacht hatte. Und es war der Kenner der Frauenherzen Masa gewesen, der ihm diesen Weg gezeigt hatte.
Natürlich! Erast Petrowitsch war nun nicht mehr wütend auf seinen Freund. Nein, er war ihm sogar dankbar.
Trotzdem – zuzuschauen, wie Elisa den Japaner zärtlich anlächelte und dieser nach ihrem Arm griff und ihr etwas ins Ohr flüsterte, war unerträglich.
Ohne einen Assistenten war die geplante Operation undurchführbar. Doch Erast Petrowitsch spürte, dass er Masa nicht mitnehmen konnte und wollte. Allein der Gedanke war ihm zuwider, und er fand auch sogleich eine logische Erklärung für dieses Gefühl. Ein chirurgischer Schnitt, selbst wenn er einem guten Zweck dient, tut weh und blutet. Es braucht Zeit, bis die Wunde verheilt.
»Meine Damen und Herren!«, wandte sich der Regieassistent laut an die Truppe. »Gehen Sie nicht auseinander! Sie wissen doch, Noah Nojewitsch verlangt vor der Probe absolute Konzentration! Lassen Sie uns schon mit der ersten Szene beginnen. Und wenn Noah Nojewitsch kommt, wiederholen wir sie noch einmal.«
»Das hätte er gern«, knurrte Rasumowski. »Eine Probe der Probe – ist ja was ganz Neues.«
Auch die Übrigen ignorierten Dewjatkins Aufruf. Leidend presste der Assistent die Hände auf die Brust – unter dem Ärmel seines zu kurzen Jacketts lugte eine falsche Manschette hervor.
»Keiner von Ihnen liebt die Kunst wirklich!«, rief er. »Sie tun nurso, als würden Sie an Noah Nojewitschs Theorie glauben! Herrschaften, so geht das nicht! Man muss sich voll und ganz seiner Berufung hingeben! Sie wissen doch: ›Die ganze Welt ist eine Bühne!‹ Lassen Sie uns
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