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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Mienen nach zu urteilen, war außer den beiden Hauptdarstellern niemand erwähnt worden.
    Fandorin, vollkommen niedergeschmettert ob dieses neuerlichen – doppelten! – Verrats, biss die Zähne zusammen. Dass er sich mit seinem Freund hätte versöhnen wollen, war vergessen. Er wollte nur noch eines – fort von hier. Aber das konnte er unauffällig erst nach Beginn der Probe tun, und die fing seltsamerweise noch immer nicht an.
    Dewjatkin trat auf die Bühne.
    »Noah Nojewitsch hat telefoniert. Er bittet um Entschuldigung. Er ist noch bei Herrn Schustrow.«
    Die Schauspieler, die sich bereits in die erste Reihe gesetzt hatten, standen wieder auf und zerstreuten sich im Saal.
    Die Intrigantin Lissizkaja ging zum Regietisch, an dem wie zwei Turteltäubchen die beiden Hauptdarsteller saßen. Sie griff nach der Zeitung »Stolitschnaja molwa 6 und bat mit zuckersüßer Stimme: »Lieber Gasonow, lesen Sie uns doch etwas Interessantes vor.«
    »O ja, ich höre Ihnen auch so gern zu!«, unterstützte sie Mefistow, den gewaltigen Mund zu einem Lächeln verzogen.
    Der Japaner ließ sich nicht lange bitten.
    »Wase solle ichi lesen?«
    »Egal, irgendetwas.« Die Lissizkaja zwinkerte Mefistow heimlich zu. »Sie haben eine so klangvolle Stimme! Eine so bezaubernde Aussprache!«
    Bei anderer Gelegenheit hätte Fandorin den beiden Spöttern nicht erlaubt, seinen Freund derart zu verhöhnen, nun aber verspürte er böse Schadenfreude. Sollte dieser aufgeblasene Puter, dieser frischgebackene Star sich doch vor Elisa und allen anderen zum Gespött machen! Das war etwas anderes, als ohne ein einziges Wort Text über die Bühne zu hüpfen!
    Masa liebte den Klang seiner eigenen Stimme sehr und wunderte sich deshalb nicht über die Bitte. Mit Vergnügen schlug er die Zeitung auf, räusperte sich und las mit der Intonation eines geübten Deklamators alles, was ihm unterkam. Ganz oben waren Annoncen in dekorativen Rahmen abgedruckt – auch sie ließ er nicht aus.
    Er begann mit der Reklame der Pastille »Nüchternheit«, die eine Heilung der Trunksucht versprach, und las ausdrucksvoll den Text von Anfang bis Ende.
    »Eine übehwältigende Zahl schelimmeh Telinkeh schickte uns Dankesagungen, begeisteht von deh wundehtätigen Kelaft deh Pastille.«
    »Schon probiert, diese Pille«, brummte Rasumowski. »Hilft kein bisschen. Nichts als Sodbrennen.«
    Nicht weniger gefühlvoll las Masa den Aufruf des »kulasse Künstelehs W. Leonardow«, sich bei ihm für einen Kurs in Malerei und Zeichnen anzumelden.
    »Was heißt kulasse«, fragte er.
    »Das heißt sehr gut, sehr schön«, erklärte Mefistow, ohne mit der Wimper zu zucken. »Von Ihnen könnte man sagen: ein kulasse Schauspieler.«
    Erast Petrowitsch runzelte die Stirn. Er sah, mit was für einemspöttischen Lächeln einige der Schauspieler Masa zuhörten, doch das bereitete dem Eifersüchtigen nicht die erwartete Genugtuung.
    Aber nicht alle amüsierten sich über die komische Aussprache des Japaners. Die Klubnikina zum Beispiel lächelte verträumt.
    Vermutlich steigerte Fremdgehen in den Augen einer Frau ihres Schlages nur noch den Wert ihres Liebhabers. Mit einem gerührten Lächeln lauschte auch die Grande Dame Reginina dem Vorleser.
    »Ach, lesen Sie doch etwas über Tiere vor«, bat sie. »Ich liebe die Rubrik ›Neues aus dem Zoologischen Garten‹ auf der letzten Seite.«
    Masa blätterte um.
    »Übehfall eineh Riesenschelange auf Doketuh Sidolow.«
    Er las nicht nur vor, nein, er gestaltete die ganze schreckliche Szene des Angriffs der Python auf den Leiter des Terrariums anschaulich nach. Der Doktor war in die Hand gebissen worden, und das Reptil hatte erst losgelassen, als es mit Wasser überschüttet worden war.
    »Wie furchtbar!« Die Reginina griff sich an die üppige Brust. »Ich muss gleich wieder an die schreckliche Schlange im Blumenkorb denken! Ich weiß gar nicht, wie Sie das ausgehalten haben, Elisa. Wirklich, ich wäre auf der Stelle tot umgefallen!«
    Frau Lointaine wurde blass und kniff die Augen zusammen. Masa (dieser Frechling!) stand auf, streichelte ihr beruhigend die Schulter und las weiter – von einem neugeborenen Löwenjungen, das von der Mutter nicht angenommen worden war. Gerettet wurde es von einer Mischlingshündin, die es mit ihrer Milch aufzog.
    Diese Notiz gefiel der Reginina weit besser.
    »Wie reizend – ein winziges Löwenjunges! Und diese wundervolle, großherzige Hündin! Wirklich, ich würde gern hinfahren und mir das ansehen!«
    Beflügelt

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