Moskauer Diva
dass ich Dreck bin.« Und das sogar als mutig empfanden, als eine besondere Art von Ehrlichkeit. Allerdings folgte diesem gnadenlosen Bekenntnis meist der Satz: »Und alle um mich herum sind ebenso Dreck, aber sie verstecken sich hinter schönen Worten.« Hinter jeder edlen Tat sucht ein solcher Mensch ein niederes Motiv und wird sehr wütend, wenn er es nicht sofort erkennt. Doch schließlich findet er natürlich etwas und atmet erleichtert auf. »Lasst gut sein!«, sagt er dann. »Mir macht man nichts vor. Wir sind alle aus dem gleichen Holz geschnitzt.« Der Philantrop ist großzügig, weil er sich anderen überlegen fühlt. Der Humanist führt nur schöne Reden, in Wirklichkeit ist er durch und durch falsch und will nichts als bewundert werden. Wer wegen seinerÜberzeugungen zur Zwangsarbeit geschickt wird, ist lediglich dumm wie Bohnenstroh. Der Märtyrer geht in den Tod, weil es Subjekten dieses Typs eine perverse Befriedigung bereitet, sich zu opfern. Und so weiter. Ohne derartige Auslegungen könnten Menschen, die sich bereitwillig als Dreck bezeichnen, nicht leben – das würde ihr ganzes Weltbild zerstören.
Die Operation Hirschpark
Auf dem Weg dorthin bat Fandorin seinen Partner, ihm noch einmal das Ergebnis seines Trainings zu demonstrieren. Es war Abend, fast schon Nacht, der Isotta jagte an den Brachen und Baracken der traurig berühmten Straßen von Sokolniki vorbei, und der Nachtigallentriller, den Dewjatkin erzeugte, indem er die zu einem Ring zusammengelegten Finger an die Zähne legte, klang unheilvoll. Sollte irgendwo in der Nähe ein später Passant durch die Dunkelheit stolpern, sank dem Ärmsten bestimmt das Herz in die Hose.
Nach der Probe hatte sich Fandorin mit Dewjatkin in eine leere Garderobe zurückgezogen und ihn in die Ergebnisse seiner Ermittlungen eingeweiht.
Die Abfolge der Ereignisse sah nach Fandorins Überlegungen folgendermaßen aus:
Aus Eifersucht und Neid auf den Erfolg seiner Partnerin arrangiert Smaragdow den üblen Scherz mit der Schlange.
Zar beauftragt seinen Gehilfen, herauszufinden, wer das getan hat. Mr. Swist berichtet dem Chef von der Schuld des Schauspielers. Weil Zarkow weiß, dass der Erfolg des höchst einträglichen Gastspiels in erster Linie von Elisa abhängt, und fürchtet, Smaragdow könne sie weiterhin schikanieren, befiehlt er, die Bedrohung zu beseitigen. Seiner Ansicht nach (die sich als richtig erweist) ist der Verlust Smaragdowsfür die Truppe nicht weiter schlimm. Als Swist mit dem Wein bei Ippolit auftaucht, ahnt der Schauspieler nichts Böses. Vermutlich hatten sie auch früher schon miteinander getrunken. Der ehemalige Polizist streut Gift in den Chateau Latour. Ohne den Riss im zweiten Kelch hätte niemand an einem Selbstmord gezweifelt.
Der zweite Mord war nicht ganz so klar. Offenkundig schuldete Limbach dem Kontor viel Geld, wollte es nicht zurückzahlen und verweigerte jede Erklärung – eine solche Szene hatte Fandorin vor dem Theater beobachtet. Während der Premiere der »Zwei Kometen« erfuhr Swist irgendwie, dass Limbach sich in Elisas Garderobe geschlichen hatte und dort auf sie wartete – wahrscheinlich, um sie unter vier Augen zu beglückwünschen. Nun konnte der Kornett einem Gespräch nicht mehr ausweichen. Womöglich war der Streit ausgeartet, und Swist sah sich genötigt, das Klappmesser zu benutzen. Es war vermutlich kein vorsätzlicher Mord gewesen, sonst hätte der Täter das Opfer gleich getötet. Stattdessen war er in Panik auf den Flur hinausgerannt und hatte dort gewartet, bis der Verwundete verstummte. Den Zweitschlüssel hatte wahrscheinlich der Kornett anfertigen lassen, um in die Garderobe zu gelangen. Und Swist hatte das vermutlich während ihrer stürmischen Auseinandersetzung erfahren. Während er die Tür festhielt, damit der Verwundete nicht in den Flur hinauslaufen konnte, reifte in Swist ein Plan. Wenn er die Tür von innen mit dem Schlüssel vom Brett abschloss und der zweite Schlüssel bei dem Toten gefunden wurde, wären alle überzeugt, dass Limbach sich selbst eingeschlossen und sich selbst den Bauch aufgeschlitzt hatte. Dafür musste er dem Toten nur das Messer in die Hand drücken, was er auch tat. Allerdings hatte er, genau wie bei der Sache mit dem undichten Kelch, auch diesmal etwas übersehen. Er hatte nicht bemerkt, dass der Sterbende die ersten Buchstaben des Namens »Lipkow« mit Blut an die Tür geschrieben hatte, was letzten Endes die Polizei (so Fandorin in aller Bescheidenheit) auf
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