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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Herzensdame. Das ist eine sehr schöne Beziehung. Lassen Sie uns diese Grenze nicht überschreiten. Und Sie müssen mich nicht beschützen. Ich brauche keinen Beschützer, sondern einen Assistenten. Denken Sie daran: Sie haben geschworen, mir zu folgen. Sie stehen doch zu Ihrem Wort?«
    Er erlosch. Seine Schultern und sein Kopf sanken herab.
    »Seien Sie unbesorgt. Dewjatkin hält sein Wort. Und die Rolle des Assistenten ist für ihn nicht neu. Neun Personen in einer, wie Noah Nojewitsch gern scherzt …«
    Beruhigt erklärte sie ihm, dass seine Hilfe verschwiegen werden müsse. Sonst wäre es keine Tat im Affekt mehr, begangen in einem sekundenkurzen Anfall, sondern vorsätzlicher, geplanter Mord – und damit etwas ganz anderes.
    »Befehlen Sie, Gebieterin. Ich werde alles ausführen«, sagte George, noch immer mit Bitterkeit, aber nun wieder ruhiger.
    »Beschaffen Sie mir eine Pistole und bringen Sie mir bei, damit zu schießen.«
    »Ich besitze einen Revolver, einen Nagant. Er ist ein wenig schwer für Ihre Hand, aber Sie werden ja aus nächster Nähe schießen, nicht?«
    »O ja!«
     
    Dieses Gespräch hatte am sechsten November stattgefunden. Drei Tage lang gingen sie nach jeder Probe hinunter in den Keller, wo in geräumigen steinernen Gewölben Dekorationen längst vergessener Stücke aufbewahrt wurden, und Elisa lernte schießen, ohne die Augen dabei zuzukneifen. Die Schüsse dröhnten ohrenbetäubend, das donnernde Krachen hallte von den schweren Deckenbögen wider. Oben – das hatten sie überprüft – war nichts davon zu hören.
    Am ersten Tag kam bei ihren Übungen nichts Gescheites heraus. Beim zweiten Mal warf Elisa immerhin nicht mehr nach dem ersten Schuss die Waffe weg. Sie schoss das ganze Magazin leer, traf aber die Zielpuppe kein einziges Mal. Am dritten Tag schließlich, den schweren Revolver mit beiden Händen umklammernd, durchlöcherte sie die Puppe aus nächster Nähe mit fünf der sieben Kugeln. Dewjatkin meinte, das sei nicht schlecht.
    Mehr Zeit zum Üben blieb nicht. Am nächsten Tag, am Donnerstag nach der Vorstellung, sollte der Rachefeldzug stattfinden.
    Elisa war sich sicher, dass Dshingis Khan ins Theater kommenwürde. Er hatte auch früher keine Vorstellung verpasst, und nun, unmittelbar nach dem Tod des abgewiesenen Bräutigams, würde er sich auf jeden Fall zeigen wollen. Am Vortag und vor drei Tagen hatte sie bemerkt, dass er ihr über den Platz folgte, vom Theater zum Hotel, versteckt in der Menge ihrer Verehrer. Nachdem die Zeitungen – nicht offen, aber in recht durchsichtigen Andeutungen – erwähnt hatten, der Selbstmord »des jungen Millionärs« habe mit der »Unbeugsamkeit« einer gewissen »allzu bekannten Schauspielerin« zu tun, lauerten Neugierige Elisa am Bühneneingang auf und folgten ihr auf dem Fuß, belästigten sie aber zum Glück nicht, sondern gafften sie nur von weitem an.
     
    Sie war phantastisch an diesem Abend, als trüge eine magische Kraft sie über die Bühne; hin und wieder meinte sie, gleich würde sie fliegen, die Ärmel ihres Kimonos ausgebreitet wie Flügel. Noch nie hatte das Publikum sie so begehrlich mit den Augen verschlungen. Elisa spürte diese gierige Aufmerksamkeit, genoss sie, ließ sich davon berauschen. Hinter den Kulissen zischte die Lissizkaja, die ebenfalls eine sehr effektvolle Rolle spielte: »Das ist Diebstahl! Stehlen Sie mir nicht meine Auftritte! Sind Ihre eigenen Ihnen nicht genug?«
    Dshingis Khan saß im Rang. Anfangs sah Elisa ihn nicht, doch im dritten Akt, bei der Liebesszene, erhob sich über den Köpfen der Sitzenden plötzlich die wohlbekannte Silhouette. Der Mörder, der heute zum Ermordeten werden sollte, war aufgestanden und lehnte an einer Säule, die Arme auf der Brust gekreuzt. Wenn er darauf spekulierte, die Schauspielerin aus dem Konzept zu bringen, so hatte er sich verrechnet – Elisa umarmte Masa mit noch größerer Leidenschaft.
    Nach der Vorstellung tranken sie wie üblich ein Glas Champagner. Stern war sehr zufrieden und erklärte, er wolle seine Eindrücke vom Spiel jedes Einzelnen in den »Annalen« festhalten.
    Am Ende der kurzen Zusammenkunft erschien plötzlich Fandorin.Er beglückwünschte die Truppe zur gelungenen Vorstellung – wahrscheinlich aus purer Höflichkeit, denn im Saal hatte Elisa ihn nicht gesehen. Sie blickte ihn nur einmal kurz an und wandte sich gleich wieder ab. Er aber schaute sie überhaupt nicht an. Warten Sie nur, Erast Petrowitsch, das werden Sie noch bereuen, dachte sie

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