Moskauer Diva
Entsetzen wich fieberhafter Geschäftigkeit.
Sie nahm die Blumen aus den Vasen und verteilte sie als farbenfrohen, duftenden Teppich im ganzen Zimmer. Sie stellte einen Sessel in die Mitte und links und rechts daneben die beiden leeren Kristallvasen.
Sie rief die Rezeption an und bestellte ein Dutzend Flaschen Rotwein aufs Zimmer, vom allerbesten.
»Ein Dutzend?«, fragte eine samtige Stimme nach. »Sofort, gnädige Frau.«
Bis der Wein gebracht wurde, zog Elisa sich um. Das schwarze Seidennegligé mit den chinesischen Drachen sah aus wie ein Kimono – eine Reminiszenz an ihre letzte Rolle.
Da kam auch schon der Wein. Sie bat, die Flaschen zu öffnen.
»Alle, gnä’ Frau?«, fragte der Kellner, nicht allzu erstaunt. Von einer Schauspielerin war alles Mögliche zu erwarten.
»Alle.« Sechs Flaschen kippte Elisa in die eine Vase, sechs in die andere.
Wenn Frauen mit ausgeprägtem Sinn für Schönheit beschlossen, sich zu töten, schnitten sie sich nicht zufällig meist die Pulsadern auf. Die eine legte sich in eine Wanne voller Lilien, eine andere hielt die aufgeschlitzten Arme in eine Schüssel. Doch Kristallvasen mit rotem Bordeaux, damit der edle Wein mit seiner Farbe das Blut schluckte – davon hatte Elisa noch nie gelesen. Das war originell, das würde in Erinnerung bleiben.
Sollte sie nicht Musik auflegen? Sie sah die Grammophonplatten durch, entschied sich für Saint-Saëns, legte die Platte aber wiederbeiseite. Sie würde sich weiter drehen, wenn ihr Bewusstsein vielleicht noch nicht ganz verloschen war. Und dann würde sie nicht unter den Klängen schöner Musik sterben, sondern beim scheußlichen Kratzen der Nadel.
Sie malte sich aus, wie viel Aufsehen ihr Tod erregen würde, und bedauerte – was natürlich dumm war –, dass sie das nicht erleben würde. Sie konnte sich vorstellen, was für ein Begräbnis Noah Nojewitsch arrangieren würde. Die Menge, die dem Sarg folgte, würde sich über etliche Werst ziehen. Und was die Zeitungen schreiben würden! Die Schlagzeilen!
Wen würde Stern wohl für die Rolle der Ijumi engagieren? Er musste sie rasch neu besetzen, solange der Rummel noch anhielt. Wahrscheinlich würde er die Germanowa aus dem Künstlertheater mit einem guten Angebot locken. Oder er telegrafierte die Jaworskaja herbei. Die Ärmsten. Sie waren zu bedauern. Es war schwer, mit dem Geist einer anderen zu konkurrieren, deren Blut in Wein geflossen war.
Und noch ein Gedanke kam ihr in den Sinn. Sollte sie nicht einen Brief hinterlassen mit der ganzen Wahrheit über Dshingis Khan? Sie konnte seine Botschaft als Beweis dazulegen.
Doch nein. Zu viel der Ehre. Der Schuft würde sich nur interessant machen, die Rolle des infernalischen Mannes genießen, der die große Elisa Lointaine ins Grab gebracht hatte. Und womöglich obendrein auch noch ungeschoren davonkommen. Ein Brief war für das Gericht vermutlich zu wenig. Sollten lieber alle rätseln und überlegen, was für ein Affekt den geheimnisvollen Kometen in den sternenlosen Himmel getragen hatte.
Sie setzte sich also in den Sessel, krempelte die weiten Ärmel auf und griff zu ihrer scharfen Nagelschere. In einem Artikel über eine dekadente junge Selbstmörderin (in Russland gab es ja zur Zeit eine ganze Welle von Selbstmorden) hatte Elisa gelesen, dass diese die Arme lange in Wasser gehalten habe, bevor sie sich die Pulsadernöffnete – das lindere angeblich den Schmerz. Nicht, dass eine solche Nichtigkeit wie Schmerz etwas bedeutete, aber besser, sie vermied die Einmischung der groben Physiologie in diesen Akt reinen Geistes.
Zehn Minuten, sagte sie sich und senkte die Arme in die Vasen. Der Wein war kühl, und Elisa begriff, dass sie keine zehn Minuten so aushalten würde – bis dahin wären ihre Finger steif. Fünf reichten bestimmt auch. Gedankenlos, beinahe unbeteiligt schaute sie auf die Uhr. Eine Minute, stellte sie fest, das war schrecklich lange, eine ganze Ewigkeit.
Dreimal sprang der Zeiger einen Strich weiter, dann klingelte das Telefon.
Elisa runzelte die Stirn. Wie unpassend! Doch dann wurde sie neugierig: Wer konnte das sein? Was für ein Zeichen schickte ihr das Leben noch zum Schluss, von wem?
Sie stand auf und schüttelte die roten Tropfen ab.
Der Hoteltelefonist.
»Ein gewisser Fandorin möchte Sie sprechen. Soll ich verbinden?«
Er! Ob er es gespürt hatte?! O Gott, sie hatte in diesen schrecklichen Stunden gar nicht an ihn gedacht. Hatte es sich nicht gestattet. Um ihre Entschlossenheit nicht
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