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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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mit süßer Schadenfreude. Sehr bald.
    Dann verkündete Dewjatkin: »Meine Herrschaften, morgen proben wir wie immer um elf. Aber denken Sie daran: Ab jetzt werden Verspätungen unweigerlich bestraft, ohne jede Ausnahme. Einen Rubel für jede Minute!« Alle murrten, empörten sich eine Weile und gingen auseinander.
    »Khan ist hier«, flüsterte Elisa ihrem Sekundanten zu. Sie zitterte. »Halten Sie sich bereit. Heute wird sich alles entscheiden!«
    »Ich bin ganz unruhig«, sagte Dewjatkin, als sie allein waren. »Wenn Sie nun zögern und er schneller schießt? Besinnen Sie sich! Das ist doch nichts für eine Frau!«
    »Um keinen Preis. Die Würfel sind gefallen.«
    Sie lächelte mutig und reckte das Kinn. Von der jähen Bewegung wurde ihr schwindlig, und sie fürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Aber es ging noch einmal gut. Nur ihre Knie zitterten immer heftiger.
    George seufzte und zog einen kleinen schwarzen Metallgegenstand aus der Tasche.
    »Sie sind eine Heldin. Wer bin ich denn, Sie von Ihrer Heldentat abzuhalten? Hier, das ist für Sie.«
    Sie griff nach der kleinen Pistole, die kaum größer war als ihre Hand.
    »Was ist das? Wozu?«
    »Eine Bayard. Eine edle Waffe mit einem edlen Namen. Ich habe dafür alles ausgegeben, was von meinem Gehalt noch übrig war. Den Nagant behalte ich selbst. Sollten Sie in Gefahr geraten, stehe ich bereit. Das zumindest können Sie mir nicht verbieten!«
    Ihr traten Tränen in die Augen.
    »Danke … Jetzt habe ich keine Angst mehr. Fast keine … Aber wie schießt man damit?«
    »Kommen Sie mit in den Keller. Ich zeige es Ihnen.«
    Sie stiegen hinunter, und Elisa schoss ein ganzes Magazin leer. Das war etwas ganz anderes! Sie konnte die Waffe mit einer Hand halten, der Rückstoß war kaum spürbar, und die Kugeln trafen eine nach der anderen die Puppe.
    Auch George war zufrieden. Er legte neue Patronen ein, ließ etwas knacken und gab Elisa die Pistole zurück.
    »Jetzt nur entsichern, und Feuer! Denken Sie daran: Ich bin in der Nähe, ich passe auf.«
    Auf dem Weg zum Ausgang instruierte sie ihren Sekundanten noch einmal: »Drehen Sie sich auf keinen Fall um. Mischen Sie sich nicht ein. Nur, wenn ich um Hilfe rufe, gut?«
    Er nickte und wurde von Minute zu Minute finsterer.
    »Dass Sie ja nicht Ihren Nagant ziehen! Sie würden uns beide zugrunde richten!«
    Er nickte wieder.
    »Nur, wenn Khan schießen will. Haben Sie alles verstanden?«
    »Ja, ich habe verstanden«, knurrte Dewjatkin. Sie passierten gerade den Saal.
    »Warten Sie einen Moment.«
    Sie wollte noch einen Blick auf den Vorhang werfen. Vielleicht würde sie ihn ja nie wiedersehen. Oder nicht so bald. Denn während des Prozesses würde sie ja bestimmt im Gefängnis sitzen.
    Die Putzleute beendeten ihre Arbeit: Sie trugen Noah Nojewitschs Regietisch herein und platzierten ihn vor der Bühne – für die morgige Probe. Genau in der Mitte, wie Stern es liebte, stellten sie eine Lampe darauf, legten sauberes Papier bereit, angespitzte Bleistifte und, mit besonderem Respekt, die »Annalen«.
    Elisa wollte unbedingt noch lesen, was Noah Nojewitsch über ihr heutiges Spiel geschrieben hatte.
    Sehr schön: »
Für E.L.: Wunderbar aufgedreht! Das Erfolgsrezept: die Saite bis zum Äußersten spannen, aber nie reißen lassen!«
    Auf der Bühne. Im Leben aber musste man sie manchmal zerreißen.
     
    Bevor sie hinausgingen, atmete Elisa noch einmal tief ein und schaute auf ihre Uhr. Genau Mitternacht. Die ideale Zeit zum Blutvergießen.
    Sie schritt auf das Trottoir wie Maria Stuart aufs Schafott.
    Trotz der späten Stunde stand eine Menschenmenge vor der Tür. Beifall ertönte, Rufe, mehrere Menschen warfen Blumensträuße, jemand bat sie, ein Foto zu signieren. Ein Blitzlicht flammte auf.
    Nickend und lächelnd beobachtete Elisa aus dem Augenwinkel eine Gestalt in einem langen schwarzen Mantel und mit einem glänzenden Zylinder.
    Ja, er war hier!
    Sie gab die Blumen Dewjatkin, der sie mit Mühe nur mit der Linken umklammerte. Die Rechte ließ er in der Tasche.
    Nach etwa zwanzig Schritten zog Elisa aus der Tasche ihres Muffs eine Puderdose, um in den Spiegel zu schauen. Anderthalb Dutzend Verehrer und Verehrerinnen folgten ihr in respektvollem Abstand, und allen voran lief, laut mit den Absätzen klappernd, Dshingis Khan.
    Vor Publikum würde sich der Plan leichter ausführen lassen. Sie musste sich nur vorstellen, dass sie eine Rolle spielte.
    Elisa drehte sich um. Sie zuckte zusammen, als habe sie den Mann im langen

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