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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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einzubüßen.
    »Ja, ja, verbinden Sie.«
    Gleich würde er sagen: »Liebste, meine Einzige, besinnen Sie sich! Ich weiß, was Sie vorhaben, halten Sie ein!«
    »B-bitte entschuldigen Sie den späten Anruf«, sagte eine kühle Stimme. »Ich habe Ihre Bitte erfüllt. Ich wollte es Ihnen schon im Theater geben, aber die Umstände haben mich daran gehindert. Ich spreche von dem Gedicht. Dem Fünfzeiler«, erklärte er, als sie nicht antwortete. »Erinnern Sie sich, Sie hatten darum gebeten?«
    »Ja«, sagte sie leise. »Sehr liebenswürdig, dass Sie daran gedacht haben.«
    Dabei hätte sie am liebsten gesagt: »Geliebter, ich tue es für dich. Ich sterbe, damit du weiterleben kannst …«
    Diese nicht ausgesprochenen Worte rührten sie sehr, und sie wischte sich eine Träne ab.
    »Schreiben Sie mit? Ich d-diktiere es Ihnen.«
    »Einen Augenblick.«
    O Gott, genau das hatte noch gefehlt für einen perfekten schönen Abgang! Der Geliebte rief an, um ihr ein Abschiedsgedicht zu diktieren! Man würde es auf dem Tisch finden, und niemand außer Erast würde die ganze Schönheit des Geschehenen begreifen! Das war wahrhaftig echtes Yugen 3 !
    Er diktierte mit monotoner Stimme, sie schrieb mit, ohne die Worte zu erfassen, weil sie die ganze Zeit in den Spiegel schaute. Ach, was für eine Szene! Elisas Stimme, die die Zeilen wiederholte, klang ruhig, ja, heiter, auf ihren Lippen lag ein Lächeln, doch in ihren Augen standen Tränen. Schade, dass das niemand sah und hörte. Aber es war zweifellos das Beste, was sie jemals gespielt hatte.
    Sie hätte ihm zum Abschied gern noch etwas Besonderes gesagt, dessen Sinn er später begreifen würde, Worte, an die er sich bis ans Ende seiner Tage erinnern würde. Aber ihr fiel nichts dem Augenblick Angemessenes ein, und sie wollte ihn nicht mit Banalitäten verderben.
    »Ja, d-das ist schon alles. Gute Nacht.« Seine Stimme klang abwartend.
    »Sie fragen gar nicht nach Schustrow?«, erkundigte er sich nach einer kurzen Pause. »Interessiert Sie das nicht?«
    »
Das
interessiert mich nicht.« Elisa bekam kaum noch Luft und flüsterte nur noch. »Leben Sie wohl …«
    »Auf Wiedersehen«, sagte Erast noch kühler als zu Beginn des Gesprächs.
    Dann schwieg das Telefon.
    »Ach, Erast Petrowitsch, das werden Sie bereuen«, sagte Elisa zum Spiegel.
    Sie schaute auf das Blatt Papier und beschloss, das Gedicht ins Reine zu schreiben. Weil ihre linke Hand den Hörer gehalten hatte, waren die Zeilen schief und krumm, das sah nicht schön aus.
    Erst jetzt las sie das Gedicht richtig.
    Im nächsten Leben
    will ich keine Blume sein,
    nein, eine Biene.
    Ein trauriges Los –
    Der Geisha scheue Liebe …
    Das mit dem »nächsten Leben« war klar – die Japaner glaubten an Seelenwanderung, aber wieso »keine Blume sein, nein, eine Biene«? Was bedeutete das?
    Plötzlich verstand sie.
    Nicht ewiges Objekt fremden Begehrens sein, sondern selbst begehren, zielstrebig sein. Selbst die Blume wählen, summen und stechen!
    Widerstandslos zu welken oder gepflückt zu werden – das ist das Los der Geisha und das Los der Blume. Die Biene aber hat einen Stachel. Wenn ein Feind sie angreift, setzt sie ihren Stachel ein, ohne sich um die Folgen zu scheren.
    Dieses Zeichen schickte das Leben Elisa also in ihrer letzten Minute!
    Man durfte sich nicht kampflos ergeben! Nicht vor dem Bösen kapitulieren! Der Fehler war, dass Elisa sich wie eine typische Frau verhalten hatte: Sie wollte, dass andere Männer sie vor Dshingis Khan beschützten, und nun, da keine Beschützer mehr da waren, legte sie die Hände in den Schoß und kniff die Augen zu. Beschämende Schwäche!
    Aber sie würde eine Biene werden, gleich jetzt, in ihrem neuenLeben! Sie würde den Feind vernichten, den Mann schützen, den sie liebte, und glücklich werden! »Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der da-da-da erobern muss!« Vor Aufregung war ihr ein Teil des Zitats entfallen, aber das war unwichtig.
    Selbst den Drachen besiegen! Stark und frei vor Erast stehen!
    Die herrliche Größe dieser Idee erfüllte Elisa mit Begeisterung.
    Sie rief die Rezeption an.
    »Holen Sie die Vasen mit Bordeaux aus meinem Zimmer. Bringen Sie sie in meinem Namen ins Hotel »Madrid«, für die Schauspieler der ›Arche Noah‹«, sagte Elisa. »Sie sollen auf den Sieg des Lichts über die Finsternis trinken!«
    Der Hoteldiener rief begeistert: »Zu Befehl, Madame!«
    Der Kampf gegen den Drachen
    Ihn töten, wie man einen tollwütigen Hund totschlägt – ohne

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