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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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greifen wollten. (Widerwärtig, dass sich auch Erast Petrowitsch selbst eine Zeitlang in dieser Menge gedrängt hatte.) Unter den Verehrern von Frau Altaïrskaja konnte durchaus jemand sein, der aus Eifersucht zu einem Verbrechen fähig war.
    Hier ließen sich, im Gegensatz zur Hypothese
cui bono,
mühelos auch die beiden anderen Morde hinzuzählen. Von Limbach war das Gerücht umgegangen (ob es stimmte oder nicht, spielte keine Rolle), er habe bei Elisa Gegenseitigkeit erlangt. Das Gleiche warvon Smaragdow behauptet worden. Erast Petrowitsch hatte in einer Kritik zur »Armen Lisa« die äußerst durchsichtige Andeutung gelesen, die »auffällige Sinnlichkeit im Spiel der Hauptdarsteller« beruhe »nicht nur auf reiner Bühnenleidenschaft«.
    Zu den beiden wichtigsten Motiven, die gewöhnliche Menschen in ihren Handlungen leiten, mussten noch einige exotische hinzugerechnet werden, die es nur am Theater gab.
    Neben Eifersucht in der Liebe war da noch die Eifersucht unter Schauspielern. Die Erste Schauspielerin einer Truppe wird immer heftig beneidet. Es soll vorgekommen sein, dass man einer Primaballerina vor der Vorstellung Glassplitter in die Schuhe geschüttet hat. Einer Opernsängerin wurde einmal Pfeffer ins Dessert gestreut, um ihre Stimme zu ruinieren. Auch im Sprechtheater kam alles Mögliche vor. Aber jemandem eine Schlange in einen Blumenkorb zu schmuggeln war eine Sache, etwas ganz anderes aber war es, Smaragdow kaltblütig zu vergiften, Limbach den Bauch aufzuschlitzen und Schustrow die Kehle durchzuschneiden.
    Hinsichtlich der Reihenfolge der Schnitte war der liebenswürdige Hauptmann Drissen natürlich im Irrtum. Die Untersuchung der Wunden hatte gezeigt, dass zuerst der tödliche Schnitt erfolgt war. Die übrigen Schnitte waren dem Opfer später beigebracht worden, als die Todeskrämpfe vorbei waren. Das belegten sowohl die Blutspuren auf dem Fußboden als auch die kleinen Schnitte selbst – sie waren glatt und gerade, wie mit dem Lineal gezogen. Was der Mörder damit bezweckt hatte, war unklar. Doch die Handschrift aller drei Verbrechen offenbarte eine gewisse Affektiertheit und Theatralik: Smaragdow wurde mit Wein aus dem Kelch der Gertrud vergiftet; Limbach lag verblutend in der abgeschlossenen Garderobe; dem toten Schustrow wurde mit einem Rasiermesser die Kehle mehrfach eingeritzt.
    Apropos Theatralik. In Fandorins Stück wird einer Person, einem Kaufmann, als Rache für seine Heimtücke der Kopf abgehackt.Schustrow war Unternehmer, gewissermaßen ebenfalls eine Art Kaufmann. War das vielleicht eine Anspielung auf das Stück? Alles war möglich. Er musste herausfinden, ob es Parallelen gab im Verhalten des Moskauer Millionärs und des japanischen Geldsacks.
    Möglich war noch eine weitere Hypothese, eine völlig verrückte. Erast Petrowitsch ließen das »Soloabend« und die verdammten Einheiten (oder Einsen?), die in den »Annalen« erwähnt wurden, keine Ruhe. Von denen hatte er in der Nacht sogar geträumt: Spitze Einsen, die purpurrot leuchteten und immer weniger wurden. Erst waren es acht, dann sieben, dann verschwanden gleich zwei auf einmal, und es blieben nur noch fünf. Übrigens ähnelten die Wunden an der Kehle des Toten den roten Einsen – eine große, dicke und zehn kleinere. Insgesamt elf Einsen. 11 – das waren zwei Einsen. Blödsinn, schizophren!
    Sein Kopf, ohnehin ganz taub von den demütigenden Liebesqualen, verweigerte die gewohnte analytische Leistung. Noch nie war Erast Petrowitsch intellektuell in so erbärmlicher Form gewesen. Blumen mit Nattern, Kelche mit Gift, blutige Rasiermesser und zierliche Einsen wirbelten in seinem Kopf durcheinander, drehten sich in einem absurden Reigen.
    Doch die im Laufe der Jahre antrainierten Fertigkeiten, Wille und Gewohnheit zu Selbstdisziplin gewannen schließlich die Oberhand. Die oberste Ermittlungsregel lautete: Wenn es zu viele Hypothesen gibt, müssen sie reduziert werden, indem man zunächst die am wenigsten wahrscheinlichsten ausschließt. Darum entschied Erast Petrowitsch, sich vor allem der lästigen Einsen zu entledigen.
    Dazu musste er den Witzbold ermitteln, der diese idiotischen Einträge ins »heilige Buch« schrieb. Ihn am Kragen packen (sollte es eine Dame sein – am Arm) und Erklärungen verlangen.
    Das war ein wenig aufwendig, aber im Grunde recht einfach – ein weiterer Grund für Fandorin, mit dem »Soloabend« zu beginnen.Am Abend des zehnten November ging Erast Petrowitsch nach der Vorstellung hinter die

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