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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Richtig was aufziehen kann man nur bei euch in Russland. Wenn man
énergique
ist.«
    Die eine Hand am Lenkrad, mit der anderen gestikulierend, schaute er zu Fandorin, der bei den Worten »bei euch in Russland« eine Braue hob. Aber Senja verstand seine Verwunderung falsch. Und erklärte: »
Énergique
, das ist, wenn man die ganze Zeit
revolviert
. Das ist die wichtigste Eigenschaft, um Erfolg zu haben. Andere Eigenschaften sind verzichtbar, aber ohne
énergique
geht es nicht. Ihr habt hier viele kluge Leute, viele Arbeitsame, sogar Ehrliche gibt es. Aber sie alle sind so träge, so schlaff. Hat jemand was Sinnvolles erfunden, sitzt er auf seinem Hintern wie ein Bär. Hat einer ein gutes Geschäft gemacht, geht er es schleunigst begießen. Aber man muss schnell sein,
sans arrêt.
Wer
énergique
ist, selbst wenn er nicht sehr
intellegent
ist, kann zehnmal stolpern, elfmal wieder aufspringen und ist trotzdem schneller als einer, der klug ist, aber schlaff. Bei euch hier, höre ich, ist viel die Rede von
révolution
,
liberté-égalité
. Aber Russland braucht keine
révolution
, Russland braucht Feuer unterm Arsch, damit es schneller läuft.«
    Beim letzten Wort stockte Senja-Simon und wurde traurig.
    »Andrjuscha Schustrow – ja, der war ein
génie
. Was hätten wir beide zusammen hier alles aufziehen können! Wäre diese Schlange von Weib nicht gewesen. Leute wie Schustrow wirken nur nach außen hin hart, aber in Wirklichkeit sind sie schrecklich
passioné
, sensibel. Ein Herz aus Stein, wenn man das erhitzt und dann kaltes Wasser draufkippt, dann – krach! – birst es auseinander.«
    »Eine schöne M-metapher«, sagte Erast Petrowitsch und rieb sich unwillkürlich die linke Brustseite. »Aber von wegen ›Schlange von Weib‹, das will ich von dir nicht noch einmal hören. Ich erlaube niemandem, Frau Lointaine zu beleidigen. Das erstens. Und zweitens …«
    Er wollte noch hinzufügen, dass Elisa höchstwahrscheinlich nichts damit zu tun hatte, stockte aber. Jetzt, nach diesem erneuten Todesfall, hegte Fandorin an allem Zweifel.
    Simon verstand sein Stocken auf seine Weise. Erneut vergaß er die Trauer und zwinkerte Fandorin fröhlich zu.
    »Das hätten Sie doch gleich sagen können. Ich sehe, Sie sind noch ganz der Alte. Schwärmen für
femmes fatales
. Nur Ihren Namen haben Sie geändert. Schustrow hat dauernd erzählt: Fandorin, Fandorin, er wird uns eine
fable
schreiben, und ich hatte keine Ahnung, dass Sie das sind. Klingt übrigens nicht schlecht: Fandorin. So ähnlich wie Fantômas. Über den müsste man mal einen Film drehen! Haben Sie das gelesen? Das ist echte Literatur, was ganz anderes als Émile Zola und Lew Tolstoi. Eine Kraft! In der Hauptrolle könnte man es mit Herrn Masa probieren. Er ist doch der ›Japaner Gasonow‹? Das habe ich erst heute begriffen. Herr Masa kann Wände hochklettern, jemandem mit den Füßen die Visage polieren und sonst noch so einiges. Und dass er Schlitzaugen hat, spielt keine Rolle. Fantômas trägt immer eine Maske. Er ist ein
génie
des Bösen!«
    Dann erzählte er übersprudelnd von einem großen Schurken, einem Helden moderner Romane. Erast Petrowitsch kannte derartige Subjekte auch in der Wirklichkeit und hörte darum nicht ohne Interesse zu, doch der Rennwagen raste schon in eine Nebenstraße der Pretschistenka. Mit kreischenden Bremsen hielten sie vor einer schmucken Villa, deren Tür von einem Polizisten bewacht wurde.
    Sie waren am Ziel.
     
    Den Ermittler kannte Fandorin nicht, es war ein gewisser Hauptmann Drissen aus der Kanzlei des Oberpolizeimeisters. Der Tod des Millionärs war eine ernste Angelegenheit, etwas anderes als der Tod eines kleinen Kornetts. So einen Fall vertraute man nicht einem bescheidenen kleinen Beamten wie Subbotin an.
    Der Offizier missfiel Fandorin. Solche durchtriebenen Männer,liebenswürdig gegenüber Vorgesetzten und grob gegen Untergebene, hatte es bei der Polizei schon immer zur Genüge gegeben, aber in den letzten Jahren hatte sich dieser Typus überall vermehrt. Von Erast Petrowitsch hatte der Hauptmann natürlich schon gehört, darum behandelte er ihn liebenswürdig. Er zeigte und erläuterte ihm alles, legte ihm sogar seine eigenen Schlüsse dar, worum ihn niemand gebeten hatte.
    Diese Schlüsse waren folgende:
    Wie die Befragung der Zeugen ergeben hatte, war das Opfer überzeugt gewesen, dass dies der glücklichste Tag seines Lebens werden würde. Am Morgen wollte er ins Hotel Louvre fahren, seine Braut besuchen, die

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