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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Altaïrskaja fängt an, sich jünger zu machen!«
    »Sie werden sie bezaubern. Ich werde Ihnen ein Kleid voller Spiegelsplitter nähen lassen, ein Feuerwerk von Sonnenreflexen. Jeder Auftritt von Ihnen wird ein Fest!«
    Elisa stritt nicht mehr, seufzte aber.
    »Wer bleibt noch?« Der Regisseur schaute in sein Notizbuch. »Herr Rasumowski wird den Gajew spielen. Ein Mann der alten Schule, gute, aber überlebte Werte und so weiter, da ist alles klar …«
    »Was ist klar? Wieso klar?«, empörte sich der Räsoneur. »Wie soll ich die Rolle anlegen? Den Charakter entwickeln?!«
    »Was gibt’s da zu entwickeln? Bald wird der große Weltenbrand ausbrechen, und darin wird Ihr Gajew mitsamt seinem hochverehrten Schrank 24 verbrennen. Sie müssen immer alles kompliziert machen , Rasumowski … Also, weiter.« Stern zeigte mit dem Finger auf die kleine Durowa. »Soja machen wir älter, Sie werden die Gouvernante Charlotta spielen. Lowtschilin spielt den Lakaien Jascha. Die Klubnikina das Dienstmädchen Dunjascha. Ich übernehme den Firs. Und Sie, Dewjatkin, Simeonow-Pistschik und was an Kleinkram so anfällt wie Passant und Stationsvorsteher.«
    »Simeonow-Pistschik?«, wiederholte der Assistent in tragischem Tonfall. »Erlauben Sie, Noah Nojewitsch, Sie haben mir eine große Rolle versprochen! Ihnen hat doch mein Soljony in den ›Drei Schwestern‹ gefallen! Ich habe mit Lopachin gerechnet!«
    »Selber ›hochverehrter Schrank‹«, knurrte Rasumowski, offensichtlich ebenso unzufrieden mit seiner Rolle, ziemlich laut.
    »Na klar, den Lopachin!« Smaragdow tippte sich mit dem Finger an die Stirn, den Assistenten verspottend.
    Die kleine Durowa verteidigte Dewjatkin.
    »Warum nicht? Das wäre sogar sehr interessant! Was sind Sie schon für ein Lopachin? Sie sehen nicht aus wie ein Bauernsohn.«
    Der Beau winkte ab, als verscheuche er eine Fliege.
    »Als Sie mir den Soljony gaben, dachte ich, Sie würden an mich glauben!«, flüsterte Dewjatkin und packte den Regisseur am Ärmel. »Wieso jetzt, nach meinem Soljony, den Pistschik?!«
    »Nun hören Sie aber auf!«, sagte Stern verärgert. »Sie haben den Soljony nicht gespielt, sie haben ihn ›verkörpert‹. Ich habe Sie einfach sich selbst spielen lassen. Einen Lermontow für Arme!«
    »Nein, das wagen Sie nicht!« Das blasse Gesicht des Assistenten war plötzlich voller tiefroter Flecke. »Das ist der letzte Tropfen! Ich verlange doch nicht viel, ich will ja nicht Regie führen!«
    »Ha, ha«, sagte Noah Nojewitsch trocken und blickte auf ihn herab. »Das fehlte noch. Sie haben also Regie-Ambitionen? Nun, Sie werden eines Tages alle verblüffen. Und ein Stück inszenieren, dass alle nur so staunen werden.«
    Das sagte er mit unverhohlenem Spott, als wolle er den Assistenten zu einem Skandal provozieren.
    Fandorin verzog das Gesicht in Erwartung von Schreien, Hysterie oder anderen Scheußlichkeiten. Doch Stern war ein hervorragender Psychologe. Vor dem direkten Affront schreckte Dewjatkin zurück; er fiel in sich zusammen und senkte den Kopf.
    »Wer bin ich denn?«, sagte er leise. »Ich bin ein Nichts. Es sei, wie Sie sagen, verehrter Lehrer …«
    »Nun denn, Kollegen, macht euch an den Text. Meine Anmerkungen wie immer mit Rotstift.«
    Die Unzufriedenen verstummten. Jeder nahm von dem auf dem Tisch liegenden Stapel ein Exemplar, wobei Erast Petrowitsch registrierte, dass die Mappen verschiedenfarbig waren. Offenbar hatte jedes Rollenfach seine eigene Farbe – eine weitere Tradition? Smaragdow griff ohne zu zögern nach der roten Mappe, Elisa nahm die in Rosa und reichte die hellblaue der Reginina mit den Worten: »Das ist Ihre, Wassilissa Prokofjewna.« Der Räsoneur zog schweigend die dunkelblaue heraus, Mefistow die schwarze und so weiter.
    Währenddessen schaute ein Theaterdiener herein und sagte, »der Herr Regisseur« werde am Telefon verlangt. Dieser schien den Anruf erwartet zu haben.
    »Eine halbe Stunde Pause«, sagte er. »Dann gehen wir an die Arbeit. Bis dahin blättert bitte jeder seine Rolle durch und frischt sein Gedächtnis auf.«
    Kaum war der Direktor draußen, war das mit Tabu belegte Thema in aller Munde. Sie erörterten das gestrige Ereignis, was Fandorin sehr zupass kam. Er saß möglichst unauffällig da, schaute und hörte zu, in der Hoffnung, der Schuldige würde sich irgendwie verraten.
    Zunächst überwogen die Emotionen: Mitgefühl mit der »armen Elisa«, Bewunderung für Dewjatkins Heldentat. Der wickelte auf Bitte der Männer seinen Verband

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