Moskauer Diva
vorkommen. Darum möchte ich mir zunächst Ihr Vertrauen verdienen. Sie müssen begreifen, dass meine und Ihre Interessen sich vollkommen decken. Und damit kommen wir zum fünften und letzten Punkt.
Also, Punkt fünf. Ich erkläre mit aller Entschiedenheit, dass die Unterstützung der ›Arche Noah‹ für mich keine Laune oder momentane Grille ist. Mancher von Ihnen findet es vielleicht merkwürdig, dass ich dabei keinerlei Ansprüche auf Ihren Gewinn erhebe – der, wie ich meine, recht beträchtlich ist …«
»Unser Wohltäter!«, rief Noah Nojewitsch. »Nirgends in Europa bekommen Schauspieler solche Gagen wie in unserem, das heißt, in
Ihrem
Theater!«
Auch die Übrigen äußerten sich laut. Schustrow wartete geduldig ab, bis die sich Dankbarkeitsbekundungen gelegt hatten, und setzte seinen unterbrochenen Satz fort.
»… recht beträchtlich ist, und, so denke ich, noch nicht sein Maximum erreicht hat. Ich verspreche Ihnen, meine Damen und Herren, dass Sie, indem Sie Ihr Schicksal mit der ›Gesellschaft für Theater und Film‹ verbinden, für alle Zeiten jener finanziellen Sorgen enthoben sind, mit denen Schauspieler normalerweise zu kämpfen haben …« Erneut lebhafte Bewegung, emotionale Ausrufe, sogar Applaus. »Und die Schauspieler der ersten Reihe werden eines Tages sehr, sehr wohlhabend sein.«
»Führen Sie uns in den Kampf, Kommandeur!«, rief Smaragdow. »Wir folgen Ihnen, durch Feuer und Wasser!«
»Zum Beweis meiner ernsten Absichten – und das ist der eigentliche Punkt fünf – habe ich mich zu einem Schritt entschlossen, der die wirtschaftliche Unabhängigkeit der ›Arche Noah‹ endgültig festschreibt. Ich habe heute auf der Bank ein Konto mit dreihunderttausend Rubeln eröffnet, dessen Zinsen zu Ihren Gunsten gutgeschrieben werden. Weder ich noch meine Erben können dieses Geld zurückbekommen. Sollten Sie beschließen, sich von mir zu trennen, bleibt dieses Kapital trotzdem im Besitz des Theaters. Sollte ich sterben, ist Ihre Selbstständigkeit dennoch garantiert. Das war von meiner Seite alles … Ich danke Ihnen.«
Der großzügige Mäzen wurde mit stehendem Applaus bedacht, mit Schreien, Tränen und Küssen, die Schustrow ungerührt hinnahm, wobei er jedem Küssenden höflich dankte.
»Ruhe! Ruhe!«, brüllte Stern. »Ich habe einen Vorschlag! Hören Sie zu!«
Alle wandten sich ihm zu.
Mit vor Erregung versagender Stimme verkündete der Regisseur: »Ich schlage einen Eintrag in unsere ›Annalen‹ vor! Dies ist ein historischer Tag, meine Damen und Herren! Und so sollten wir es auch festhalten: Heute erhielt die ›Arche Noah‹ ihre wahre Unabhängigkeit.«
»Und fortan werden wir den sechsten September jedes Jahr als Unabhängigkeitstag feiern!«, ergänzte die Altaïrskaja.
»Hurra! Bravo!«, riefen alle.
Dann stellte Schustrow die Frage, die auch Fandorin hatte.
»Was sind die ›Annalen‹?
»So heißt unser heiliges Buch, unser Brevier der Schauspielkunst«, erklärte Stern. »Ein richtiges Theater ist undenkbar ohne Traditionen, ohne Rituale. Zum Beispiel trinken wir nach jeder Vorstellung ein Glas Champagner, und ich sage ein paar Worte zum Spiel eines jeden Schauspielers. Am Tag unseres Debüts haben wir beschlossen, alle wichtigen Ereignisse, Triumphe und Entdeckungen in einem besonderenBuch festzuhalten, das wir unsere ›Annalen‹ nennen. Jeder Schauspieler hat das Recht, seine Erleuchtungen und erhabenen Gedanken zum Handwerk dort einzutragen. Oh, es enthält viel Wertvolles! Eines Tages werden unsere ›Annalen‹ veröffentlicht und in viele Sprachen übersetzt werden! Wassja, bring sie her.«
Prostakow ging zu einem Marmorpodest, auf dem ein Foliant in prächtigem Samteinband lag. Erast Petrowitsch hatte ihn für eine Requisite gehalten, doch nun stellte sich heraus, dass dies ein Brevier der Schauspielkunst war.
»Hier.« Stern blätterte in den mit verschiedenen Handschriften vollgeschriebenen Seiten. »Das meiste schreibe natürlich ich. Meine Bemerkungen zur Schauspieltheorie, meine Eindrücke von Vorstellungen. Aber eine Menge Wertvolles stammt auch von anderen. Dies hier zum Beispiel ist von Ippolit Smaragdow:
Eine Vorstellung gleicht einem Akt leidenschaftlicher Liebe, wobei du der Mann bist und das Publikum die Frau, die du zur Ekstase bringen musst. Schaffst du das nicht, bleibt sie unbefriedigt und läuft zum nächsten, feurigeren Liebhaber
.
Schaffst du es jedoch, dann folgt sie dir bis ans Ende der Welt.
Die Worte eines wahren jugendlichen
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