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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nicht allzu deutlich äußern, sie musste sich zurückhalten, doch hin und wieder konnte sie neben der Erörterung japanischer Details die Rede auch auf Wichtigeres lenken.
    »Waren Sie denn einmal verheiratet?«, fragte Elisa, nachdem Michail Erastowitsch bei irgendeiner Gelegenheit erwähnt hatte, dass er keine Frau habe.
    »Nein.« Der Japaner lächelte freudig. Er lächelte die ganze Zeit freudig, selbst wenn es dafür keinen Anlass gab.
    »Und … Ihr Adoptivvater?«, fuhr sie wie beiläufig fort. Übrigens hatte sie noch immer nicht herausgefunden, unter welchen Umständen Erast zu diesem ungewöhnlichen Stiefsohn gekommen war. Vielleicht durch die Ehe mit einer Japanerin? Das wollte sie später erforschen.
    Michail Erastowitsch überlegte eine ganze Weile und antwortete:
    »Solange ichi ihn kenne, nichi.«
    »Kennen Sie ihn schon lange?«
    »Übeh dleißig Jahle«, erklärte er strahlend. An sein ungewöhnliches, aber durchaus verständliches und fast korrektes Russisch hatte sich Elisa rasch gewöhnt.
    Sie freute sich: Erast (er war doch um die fünfundvierzig?) war also nie verheiratet gewesen. Aus irgendeinem Grund machte sie das froh.
    »Warum hat er denn nie geheiratet?«, blieb sie beim Thema.
    Das runde Gesicht des Japaners bekam einen Ausdruck von Wichtigkeit. Er rieb sich die Stoppeln auf dem Kopf (Stern hatte ihm untersagt, sich den Kopf zu rasieren, das sei unromantisch).
    »Eh hate keine Flau gefunden, die seineh würdige ise. Das hat er selbeh zu mire gesagte, viele Male.«
    Was für eine Überheblichkeit! Elisas Stimme klang ein wenig giftig, als sie fragte: »Ach, hat er denn eifrig gesucht?«
    »Eh hat sichi seh bemühte«, bestätigte Michail Erastowitsch. »Viele Flauen wollten mit ihme heilaten. Eh hate plobieht und plobieht, hate michi geflagte: Was meinsu, Masa? Nein, hab ich gesagte, sie isse nich würdige. Und eh hate mih Lecht gegeben. Eh hörte immeh auf mich.«
    Elisa nahm das seufzend zur Kenntnis.
    »Er hat also viele ausprobiert?«
    »Seh viele! Echte Plinzessinnen walen dabei und Levolutionälinnen. Manche walen wie Engele, andele schelimmeh alse Teufele.«
    »Waren sie schön?«, fragte sie, alle Vorsicht vergessend. Zu sehr fesselte sie dieses Thema.
    Masa (dieser Name passte besser zu ihm als »Michail Erastowitsch) verzog irgendwie seltsam das Gesicht.
    »Meine Helle hate eine komische Geschemake.« Dann sagte er, als besinne er sich: »Seh schön.«
    Er demonstrierte sogar, wie schön: Mit riesigem Busen, vollen Flanken, breiten Hüften, runden Wangen und kleinen Äuglein.
    Fandorin hat ja wirklich seltsame Vorlieben, schloss Elisa. Er mag üppige Frauen, ich bin überhaupt nicht sein Typ.
    Sie wurde nachdenklich und traurig, und das Gespräch war beendet. Elisa fragte nicht einmal, warum Masa Erast seinen »Herrn« nannte.
    Doch als sie Masa näher kennenlernte, fand sie heraus, dass man nicht alles, was er erzählte, für bare Münze nehmen konnte. IhrBühnenpartner schwindelte ganz gern – oder phantasierte sich etwas zusammen.
    Als Elisa mit Hilfe komplizierter Manöver das Gespräch wieder einmal auf Erast gebracht hatte und fragte, was er eigentlich so treibe, antwortete Masa kurz angebunden: »Eh lettet.«
    »Wen rettet er denn?«, fragte sie erstaunt.
    »Weme er gelade begegnet, den lettet eh. Manchemal Lusslande.«
    »Was?«
    »Lusslande. Die Heimate. Die hat eh schon an die zehn Male gelettete. Und delei, vieh Male die ganze Welte«, verblüffte er sie, wie immer mit seinem strahlenden Lächeln.
    So, so, sagte sich Elisa. Nicht auszuschließen, dass die Information über die Prinzessinnen und Revolutionärinnen von ähnlicher Art war.
     
    Der September ging zu Ende. Die Stadt färbte sich gelb, roch nach Tränen, Trauer und sterbender Natur. Wie gut das alles zum Zustand ihrer Seele passte! Nachts schlief Elisa kaum. Sie lag da, die Hände unterm Kopf verschränkt. Das blassorangefarbene Rechteck an der Decke, die Projektion des von einer Straßenlaterne erleuchteten Fensters, sah aus wie eine Kinoleinwand, und dort erblickte sie Dshingis Khan und Erast Petrowitsch, die Geisha Ijumi und die japanischen Mörder, blasse Bilder der Vergangenheit und ihre schwarze Zukunft.
    In der zweiten Oktobernacht endete eine solche »Kinovorstellung« mit einer Erschütterung.
    Wie gewöhnlich rekapitulierte sie im Kopf die Ereignisse des Tages und den Verlauf der heutigen Probe. Sie rechnete nach, wie lange sie Fandorin nicht mehr gesehen hatte (ganze fünfzehn Tage!) und

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