Moskauer Diva
das überleben wird.«
Das sagte sie mit einer besonderen Betonung, deren Sinn Fandorin sofort begriff.
»Jedenfalls ist nun klar, warum der Kornett bei der Premiere nicht herumgebrüllt hat«, bemerkte Rasumowski kaltblütig. »Wie ist er übrigens hier hereingekommen? Und wann?«
Fandorin, auf Zehenspitzen zwischen den Blutspritzern lavierend, zog an der Ecke eines Stücks Papier, die aus der Tasche der roten Ausgehjacke des Husaren lugte. Es war eine Besucherkarte für die Schauspieleretage, ohne die am Tag der Premiere kein Fremder Zutritt gehabt hätte.
»Da keiner der Schauspieler Limbach gesehen hat, ist er erst nach B-beginn der Vorstellung in den Flur gekommen. Herr Stern, wer stellt solche Besucherkarten aus?«
Noah Nojewitsch nahm das Papier und zuckte die Achseln.
»Jeder Schauspieler. Manchmal ich oder George. Normalerweise benutzen Gäste eine solche Erlaubnis während der Pause oder nach der Vorstellung. Aber wir haben heute ohne Pause gespielt, und gleich nach der Vorstellung sind alle in die Kantine gegangen. Niemand hat seine Garderobe aufgesucht.«
»Das tute weh«, sagte Masa.
»Wovon redest du?«
»Den Bauche aufeschelitzen, das tute weh. Eh ise keine Samulai, eh hate geschelien. Laute.«
»Natürlich hat er geschrien. Aber im Saal spielte Musik, und hier war keine Menschenseele. Niemand hat ihn gehört.«
»Schauen Sie, Herr.« Masa zeigte auf die Tür.
Zwischen den antrocknenden Blutspuren waren zwei grob gemalte Buchstaben zu erkennen: »Li«, wobei der zweite stark verwischt war, als habe der Schreibende keine Kraft mehr gehabt.
»Also.« Erast Petrowitsch wechselte ins Japanische. »Du lässtkeinen der Anwesenden aus den Augen. Mehr will ich von dir nicht. Ich werde mich selbst um den Fall kümmern, und Subbotin wird mir helfen. Wir werden sowieso nicht ohne die Polizei auskommen.«
»Was sagen Sie?« Noah Nojewitsch runzelte die Stirn. »Und warum haben Sie George nicht die Polizei rufen lassen?«
»Ich habe gerade zu Masa gesagt, dass es jetzt an der Zeit ist. Ich musste mich erst überzeugen, dass keiner in die Garderobe geht und Spuren vernichtet. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich telefonieren. Ich habe einen Bekannten bei der Kriminalpolizei, er ist ein ausgezeichneter Spezialist. Herrschaften, bitte gehen Sie alle zurück in die Kantine! Und Sie, Herr Stern, sorgen bitte dafür, dass zwei Saaldiener die Tür bewachen.«
Spezialisten bei der Arbeit
»Kein Zweifel, es war Selbstmord.«
Der Ermittler der Moskauer Kriminalpolizei Sergej Nikiforowitsch Subbotin presste wie gewohnt den Brillenbügel auf sein Nasenbein und lächelte wie entschuldigend. »Diesmal, Erast Petrowitsch, hat sich Ihre Vermutung nicht bestätigt.«
Fandorin traute seinen Ohren nicht.
»Machen Sie Scherze? Der Mann hat sich selbst den Bauch aufgeschlitzt und dann auch noch selber die Tür von außen abgeschlossen und den Schlüssel ans Brett gehängt?«
Subbotin kicherte pflichtschuldigst. Er befeuchtete sich mit einem Taschentuch das schüttere weißliche Haar – es wurde gleich hell, er hatte mehrere Stunden anstrengender Arbeit hinter sich.
»Erast Petrowitsch, ich werde, Ihrer Schule folgend, Punkt für Punkt durchgehen. Sie haben mir mitgeteilt, dass der Kornett Limbach keinen Grund für einen Selbstmord hatte, weil er in der Liebeerfolgreich gewesen sei. Nach Ihrer Kenntnis hat er die, äh, Gunst der berühmten Schauspielerin Altaïrskaja errungen, nicht?«
»Ja«, bestätigte Fandorin in eiskaltem Ton. »Der Kornett hatte k-keinen Grund, Hand an sich zu legen, noch dazu auf so grausame Weise.«
»Sie belieben zu irren«, entgegnete Subbotin noch schuldbewusster und ein wenig verlegen, weil er seinen einstigen Lehrer berichtigen musste. Vor langer Zeit, vor zwanzig Jahren, hatte er unter dem Staatsrat Fandorin seinen Dienst begonnen. »Während Sie den Leichnam in den Sektionssaal begleitet haben, um die genaue Todeszeit zu ermitteln, habe ich hier einige Nachforschungen angestellt. Die Schauspielerin unterhielt keine intime Beziehung mit dem Husaren. Die Gerüchte entbehren jeder Grundlage. Sie kennen meine Gründlichkeit, ich habe das eindeutig ermittelt.
»Keine intime Beziehung?« Erast Petrowitschs Stimme zitterte. »Nein. Mehr noch. Ich habe mit einem Freund Limbachs aus seiner Schwadron telefoniert, und dieser Zeuge sagt aus, dass der Kornett in letzter Zeit außer sich war vor Liebeskummer und mehrfach ausgerufen hat, er würde sich umbringen. Das, wie Sie immer sagen,
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