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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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erstens.«
    »Und was ist zweitens?«
    Subbotin zückte sein Notizbuch.
    »Die Zeugen Prostakow und Dewjatkin sagen aus, sie hätten in der Nacht, als Limbach ins Zimmer von Frau Altaïrskaja eindrang, draußen vor der Tür gehört, wie er drohte, sich auf japanische Manier den Bauch aufzuschlitzen, wenn sie ihn abwiese. Da haben Sie zweitens.« Er blätterte eine Seite weiter. »Limbach hat sich auf bisher nicht geklärte Weise eine Besucherkarte verschafft und ist in die Garderobe der Dame seines Herzens eingedrungen. Ich vermute, er wollte seine Peinigerin bestrafen, wenn sie nach ihrem Triumph mit Blumen beladen von der Vorstellung kommt. Er hoffte nicht mehr auf Gegenseitigkeit. Limbach wollte sich aufgrausame japanische Art töten. Wie ein Samurai, der wegen einer Geisha Hirikiri begeht.«
    »Harakiri.«
    »Ja, sage ich doch. Er schlitzt sich mit einem Messer auf, erleidet furchtbare Qualen, blutet schrecklich, will noch ihren Namen an die Tür schreiben, ›Lisa‹, doch die Kräfte verlassen ihn.«
    In Fahrt gekommen, demonstrierte der Kriminalist, wie es gewesen war: Der Kornett hält sich den Bauch, krümmt sich, taucht einen Finger in die Wunde, schreibt etwas an die Tür und fällt zu Boden. Das Fallen sparte sich Subbotin, der Fußboden war eben erst gewischt worden und noch nicht trocken.
    »Übrigens, der nicht ausgeschriebene Name, das ist drittens.« Subbotin zeigte auf die Tür, die auf seine Anweisung hin unberührt geblieben war. »Was hat der Experte gesagt? Wann ist der Tod eingetreten?«
    »Gegen halb elf, p-plus, minus eine Viertelstunde. Also während des dritten Aktes. Die Agonie dauerte fünf, höchstens zehn Minuten.«
    »Na, sehen Sie. Er hat gewartet bis kurz vor Schluss der Vorstellung. Sonst hätte er riskiert, dass nicht Frau Lointaine in die Garderobe kommt, sondern zufällig jemand anders vorbeischaut, und der Effekt wäre verdorben gewesen.«
    Fandorin seufzte.
    »Was ist mit Ihnen los, Subbotin? Ihre Deduktion und Ihre Rekonstruktion sind keinen Pfifferling wert. Haben Sie etwa die Tür vergessen? Irgendwer muss sie doch abgeschlossen haben?«
    »Das war Limbach selbst. Er hatte offenbar Angst, er könnte den Schmerz nicht ertragen und halb ohnmächtig hinauslaufen. Den Schlüssel – genauer, ein Duplikat – habe ich in der Hosentasche des Selbstmörders gefunden – und das ist viertens.«
    Auf der Handfläche des Kriminalisten glänzte ein Schlüssel. Fandorin holte eine Lupe heraus. Tatsächlich, das war ein Duplikat,erst kürzlich angefertigt – am Bart waren noch Spuren der Feile zu erkennen. In der Stimme des Kriminalisten lag keinerlei Triumph oder, Gott bewahre, gar Schadenfreude – lediglich ruhiger Stolz auf seine gewissenhafte Arbeit.
    »Ich habe das überprüft, Erast Petrowitsch. Die Schlüssel zu den Schauspielergarderoben hängen unbeaufsichtigt am Brett. Die Räume werden gewöhnlich ohnehin nicht abgeschlossen, darum werden die Schlüssel kaum benutzt. Limbach kann bei einem seiner vorigen Besuche seelenruhig einen Abdruck gemacht haben.«
    Erneut seufzte Fandorin. Subbotin war kein schlechter Kriminalist, sehr gründlich. Er holte keine Sterne vom Himmel, aber das musste ein Polizeibeamter auch nicht unbedingt. Er könnte es weit bringen. Leider war das Schicksal dem jungen Mann nach Erast Petrowitschs erzwungenem Ruhestand nicht günstig gewesen. In den Zeiten nach Fandorin brauchte ein Polizist für eine erfolgreiche Karriere ganz andere Eigenschaften: Er musste schöne Berichte schreiben können und die Obrigkeit zufriedenstellen. Beides hatte Subbotin bei Staatsrat Fandorin nicht gelernt. Der hatte ihn mehr im Zusammentragen von Beweismitteln und der Vernehmung von Zeugen geschult. Und das war nun das Ergebnis dieser falschen Erziehung: Der junge Mann war inzwischen über vierzig, aber noch immer Titularrat und durfte nur in den uninteressantesten, aussichtslosesten Fällen ermitteln, mit denen man sich keine Sporen verdienen konnte. Ohne Fandorins direkte Bitte hätte Subbotin niemals einen solchen Leckerbissen wie das blutige Drama in einem populären Theater übertragen bekommen. Darüber würden schließlich alle Zeitungen schreiben, er konnte im Nu berühmt werden. Natürlich nur, wenn er sich nicht blamierte.
    »Und jetzt hören Sie m-mir zu. Ihre Hypothese zum ›Selbstmord auf Japanisch‹ ist nicht haltbar. Ich versichere Ihnen, niemand außer einem Samurai in alten Zeiten, der sich von Kindesbeinen an auf einen solchen Tod vorbereitet hat, kann

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