Moskauer Diva
die Abscheulichkeit mit der Schlange Smaragdows Werk war. Aber damit ich genauer einschätzen kann, wie gefährlich Zarkows Zorn sein könnte, erzählen Sie mir bitte mehr über ihn. Alles, was Sie wissen.«
»Oh, ich weiß eine Menge über ihn. Letztes Jahr hatte ich einiges Material über ihn zusammen und wollte ihn in die Zange nehmen, aber …« Subbotin winkte ab. »Eine zu harte Nuss für mich. Zu mächtige Beschützer. Ich sage es gleich: Den Zorn von Awgust Iwanowitsch Zarkow und seine Drohungen sollte man sehr ernst nehmen. Er ist ein solider, beherrschter Mann und lässt seinen Gefühlen selten freien Lauf. Aber wenn er einmal wütend ist …« Der Kriminalist fuhr sich vielsagend mit dem Handrücken über die Kehle. »Der Schwarzhandel mit Theaterkarten ist sein liebstes, aber keineswegs sein einziges Geschäftsfeld. Zar kann für den Erfolg eines Stückes sorgen. Oder dafür, dass es durchfällt. Rummel um ein Theater, Gerüchte, Claqueure, Kritiker – das alles steht in seiner Macht. Er kann eine unbekannte Debütantin zur Berühmtheit machen, aber ebenso gut eine Schauspielerkarriere ruinieren. Seine Logen stehen stets den Oberen der Stadt zur Verfügung, weshalb sie und noch mehr ihre Gattinnen Zarkow als einen wunderbaren, zuvorkommenden Mann schätzen, dem sich Gesindel wie Titularrat Subbotin mit seinen kleinlichen Kritteleien nicht nähern darf.«
Der Polizist lächelte bitter.
»Wirft der Schwarzhandel mit Theaterkarten denn tatsächlich so große Gewinne ab?«, fragte Fandorin erstaunt.
»Rechnen Sie es sich selbst aus. Laut Verordnung der Stadtobrigkeit zur Bekämpfung der Spekulation dürfen die Kassen nicht mehr als sechs Karten an eine Person abgeben. Doch das ist für Zarkow kein Hindernis. Für ihn arbeiten zwei Dutzend sogenannte ›Aufkäufer‹, die stets als Erste vor der Kasse stehen – ich muss wohl nicht erwähnen, dass sämtliche Kartenverkäufer bestochen sind. Wenn wir ein extrem populäres Stück nehmen wie die gestrige Premiere, beläuft sich Zarkows Reingewinn vom Weiterverkauf auf wenigstens anderthalb Tausend. Und es gibt ja noch das Künstlertheater, für das man auch nicht so leicht Karten bekommt, und das Bolschoi. Auch im Maly-Theater und bei Korsch gibt es begehrte Stücke. Außerdem Konzertprogramme und bunte Abende. Mit dem Schwarzhandel mit Theaterkarten hat Zarkow irgendwann einmal angefangen, und dieses in jeder Hinsicht einträgliche Geschäft betreibt er noch heute, aber seinen wichtigsten Profit bezieht er aus etwas anderem. Nach meinen Informationen kontrolliert er sämtliche teuren Bordelle in Moskau. Außerdem bietet Zar interessierten Personen auch delikatere Dienste an: Soliden Herren, die die Öffentlichkeit scheuen, liefert er keine professionellen, sondern durchaus ehrbare Damen. Ähnliche Liebenswürdigkeiten erweist er auch sich langweilenden Damen – für gutes Geld besorgt er ihnen schöne junge Männer als Gigolos. Sie werden verstehen, dass in Zarkows Unternehmen alles miteinander zusammenhängt: Tänzer und Tänzerinnen aus dem Ballett- oder Operettenensemble, aber auch bekannte Schauspieler und Schauspielerinnen haben oft nichts gegen einen einflussreichen Gönner oder eine großzügige Geliebte einzuwenden.«
»Das heißt, Zarkow v-verfügt über eine ganze Organisation. Wie ist sie aufgebaut?«
»Ideal. Sie läuft wie ein Uhrwerk. Es gibt feste und freie Mitarbeiter. Die ganz unten, die Aufkäufer, sind Tagelöhner. Dafür suchen sich Swists Gehilfen auf dem Chitrow-Markt Hungerleiderwie heruntergekommene Beamte oder Studenten. Die stellen sich schon in der Nacht in der Schlange vor der Kasse an und kaufen die besten Plätze für populäre Stücke auf. Dafür werden die Aufkäufer eigens eingekleidet – mit Hemdbrust, Hut und Jackett. Spezielle Vorarbeiter passen auf, dass der Hungerleider nicht mit dem Geld abhaut und sich betrinkt. Außerdem gibt es eigens geschulte Drängler; sie sorgen an der Kasse für Gedränge, schieben ihre Leute vor und drängen andere zurück. Dann gibt es noch die Springer – die lungern vor jedem Theater herum und verkaufen die Karten. Sie werden von den Pinschern betreut, deren Aufgabe es ist, sich mit den Revierpolizisten zu einigen und die Tätigkeit von Schwarzhändlern zu unterbinden, die das Geschäft auf eigene Faust betreiben. Ach ja, die Informanten hätte ich beinahe vergessen. Das sind sozusagen Geheimagenten. Zar bezahlt in jedem Theater jemanden aus der Direktion oder der Truppe. Sie
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