Moskauer Diva
informieren ihn über das bevorstehende Repertoire, über den Wechsel von Stücken, über interne Ereignisse, Sauftouren der Ersten Schauspieler und Migränen der Diven – einfach über alles. Dank dieser Informanten irrt sich Zar nie. Noch nie hat er Karten für ein Stück aufgekauft, dass abgesetzt wurde, oder für eine Premiere, die durchgefallen ist.«
»Gut, das ist im G-großen und Ganzen klar. Nun bitte zu Mr. Swist. Wofür genau ist er in dieser Hierarchie zuständig?«
»Für alles ein bisschen, aber hauptsächlich für die Pinscher. Das ist eine Art fliegende Eingreiftruppe. Swist hat dafür fixe Burschen rekrutiert, die jeden Beliebigen verprügeln, wenn nötig auch töten können. Die Kontrolle über die Bordelle ist Zar nicht einfach zugeflogen, diesen fetten Happen musste er sehr seriösen Leuten entreißen.«
»Diese seriösen Leute kannte ich«, bestätigte Erast Petrowitsch. »Lewontschik aus der Gratschowka und Zirkatsch vom Sucharew-Mark. Lange nichts von ihnen gehört.«
»Eben darum. Letztes Frühjahr ist Lewontschik in sein heimisches Baku zurückgekehrt. Im Rollstuhl. Stellen Sie sich vor, er ist zufällig aus dem Fenster gefallen und hat sich das Rückgrat gebrochen. Und Zirkatsch hat erklärt, dass er sich aus seinem Geschäft zurückzieht. Kurz davor war sein Haus abgebrannt, und zwei seiner engsten Mitarbeiter waren verschwunden.«
»Letztes Frühjahr? Da war ich in der Karibik. D-deshalb ist mir das entgangen.« Fandorin schüttelte den Kopf. »Sieh an, Mr. Swist. Und keinerlei Unannehmlichkeiten von der Polizei?«
»Nichts. Meine Berichte zählen nicht. Habe offizielle Anordnung, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Und in einem vertraulichen Gespräch hieß es: ›Seien wir Herrn Zarkow dankbar, dass er unsere Arbeit macht und die Stadt von Banditen säubert.‹ Und noch etwas, Erast Petrowitsch. Lipkow ist bei der städtischen Polizei sehr beliebt, besonders bei den Revieraufsehern. Er ist gewissermaßen ihr Held und Idol. Einmal im Jahr, an seinem Namenstag, veranstaltet er im Buffo-Theater einen Abend für seine ehemaligen Kollegen, der deswegen auch ›Ball der Revieraufseher‹ heißt. Dieses Fest ist anschließend in allen Polizeirevieren noch lange Gesprächsthema. Kein Wunder! Ein großartiges Programm mit Sängerinnen, Cancan und Clowns, dazu erstklassige Beköstigung und die Gesellschaft fröhlicher Damen. Einerseits prahlt Mr. Swist damit vor seinen ehemaligen Kollegen – seht, wie reich und mächtig ich geworden bin, und andererseits unterhält er auf diese Weise nützliche Beziehungen. Razzien bei den Schwarzhändlern sind vollkommen sinnlos. Swists Freunde bei der Polizei warnen ihn jedes Mal rechtzeitig. Als ich hinter Zarkow her war, dachte ich an einen überraschenden Besuch in seinem sogenannten Kontor, um Beweise und Indizien für seine kriminelle Tätigkeit zu finden. Aber ich musste diese Idee fallenlassen. Meine eigenen Assistenten wären die Ersten gewesen, die Swist von der geplanten Aktion informiert hätten, und das Kontor hätte umgehend die Adresse gewechselt. Es zieht ohnehin ständig um.«
»W-wozu? Ich denke, Zarkow hat keine Angst vor der Polizei?«
»Aber vor den Kriminellen, denen ist er ein Dorn im Auge. Außerdem ist Zarkow geradezu krankhaft vorsichtig. Länger als ein, zwei Wochen bleibt er nirgends. Ein berühmter Mann, seine Automobile und Kutschen trifft man vor jedem Theater, aber versuchen Sie mal, herauszufinden, wo er gerade wohnt – das weiß niemand.«
Fandorin stand auf und dachte nach, wobei er leicht auf den Absätzen wippte.
»Hm, und was für Beweise gedachten Sie in seinem Kontor zu finden?«
»Zar führt penibel Buch nach amerikanischem System. Zu diesem Zweck hat er sich aus Chicago zwei große Schränke auf Rädern schicken lassen. Darin befinden sich eine Kartothek, Rechnungen und so weiter. Zarkow liebt die Ordnung, und eine Durchsuchung fürchtet er nicht. Außerdem hat er bewaffnete Wachleute zum Schutz der Papiere und ihres Besitzers. Zar wohnt immer dort, wo sich sein Kontor befindet. Und Mr. Swist auch. Sie sind so unzertrennlich wie Satan und sein Schwanz.«
Der Kriminalist drückte sich die Brille aufs Nasenbein und sah Fandorin argwöhnisch an.
»Sie haben doch nicht etwa vor …? Nein. Das ist zu riskant. Zumal allein. Auf die Polizei können Sie nicht zählen. Meine Leute würden Sie nur daran hindern, das habe ich Ihnen ja erklärt. Ich könnte natürlich privat, aber …«
»Nein, nein, ich
Weitere Kostenlose Bücher