Moskauer Diva
rebellisch gegolten, und nun hing über dem Schreibtisch eines ehrbaren Unternehmers eine grässliche violette Frau mit drei Beinen, und es war nichts weiter dabei.
»Was Sie sich da vorgenommen haben, ist eine ernsthafte Sache«, sagte Fandorin gesetzt, den Blick auf Plakate der neuesten europäischen Filme gerichtet (»L’Inferno«, «Le Fils de Locuste«, »Sherlock Holmes contra Professor Moriarty«). »Aber auch ich bin ein ernsthafter Mann. Ich muss die Regeln kennen und akzeptieren.«
»Selbstverständlich.« Der junge Millionär nickte. »Was sind Ihre Befürchtungen? Ich beantworte Ihnen gern jede Frage. Ich bin außerordentlich interessiert an der Mitarbeit eines Mannes wie Sie. Warum meiden Sie die Journalisten? Warum durften auf den Plakaten nur die Initialen Ihres Namens stehen? Das ist falsch, das ist ein Fehler. Ich würde gern einen Star aus Ihnen machen.«
Mit diesem Herrn musste man Klartext reden. Darum fragte Fandorin ohne Umschweife: »Wie vertragen Sie sich mit Zarkow? Soweit ich weiß, ist ohne gute Beziehungen zu diesem Geschäftsmann die Gründung eines Theater- und Unterhaltungsunternehmens in Moskau äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich.«
Diese direkte Frage machte Schustrow keineswegs verlegen.
»Mit Zar vertrage ich mich ausgezeichnet.«
»Ach ja? Aber Sie sind doch ein Anhänger des z-zivilisierten Unternehmertums, er dagegen fischt im Trüben, ist ein halber Bandit.«
»Ich bin vor allem Realist. Ich kann die spezifischen Gegebenheiten des russischen Business nicht ignorieren. Für den Erfolgeines jeden großen Vorhabens braucht man bei uns Unterstützung von oben wie von unten. Von den Wolken« – Schustrow zeigte auf die Kremltürme, die vom äußersten Fenster aus zu sehen waren –, »und von unter der Erde.« Er zeigte mit dem Finger auf den Fußboden. »Die Regierung gestattet dir, deine Geschäfte zu machen. Mehr nicht. Aber wenn du willst, dass es läuft, musst du dir bei der inoffiziellen Macht Unterstützung holen. In unserem behäbigen und für Geschäfte so ungünstigen Land hilft nur sie, die rostigen Zahnräder zu ölen und die Kanten glattzuschleifen.«
»Sie reden von Leuten wie Z-zarkow?«
»Natürlich. Die Zusammenarbeit mit diesem illegalen Geschäftsmann ist auf dem Gebiet, mit dem ich mich befasse, vollkommen unerlässlich. Auf seine Unterstützung zu verzichten hieße, mit nur einer Hand auszukommen. Und wäre er uns feindlich gesinnt, wäre unser Unternehmen gänzlich unmöglich.«
»Worin besteht denn seine Unterstützung?«
»In vielem. Wussten Sie zum Beispiel, dass während der Vorstellungen der ›Arche Noah‹ keine Taschendiebe agieren? Eine Zeitung schrieb dieses Phänomen der günstigen Wirkung der hohen Kunst selbst auf verdorbene Diebesseelen zu. In Wahrheit haben Zarkows Leute die Taschendiebe eingeschüchtert. Eine besondere Liebenswürdigkeit an meine Adresse. Auch den zusätzlichen Rummel um Gastspiele organisiert er – wenn er sie für lohnend hält. Ihm nützt das im Hinblick auf den Schwarzhandel mit Karten, mir im Hinblick auf den Kurs der Aktien des Theaters, auf das ich gesetzt habe. Doch den wichtigsten Nutzen wird Zar bringen, wenn der kinematographische Zweig unserer Tätigkeit erst richtig anläuft. Dann wird sein Untergrundunternehmen sich auf ganz Russland ausweiten. Jemand muss die Verleiher kontrollieren, für Ordnung in den Elektrotheatern sorgen, illegale Kopien verhindern. Die Polizei kann das nicht leisten und wird es auch nicht wollen. Zar und ich haben also noch große Pläne miteinander.«
Schustrow sprach lange und mit großem Engagement darüber, wie das von ihm geschaffene Imperium funktionieren sollte. Darin würde jeder das tun, wozu er Talent hatte. Glänzende Literaten wie Herr Fandorin würden sich die Sujets ausdenken, geniale Regisseure wie Herr Stern Filme drehen und Stücke inszenieren, wobei beide thematisch miteinander verknüpft waren: Wenn auf Orientalisches gesetzt wurde, dann folgten auf ein Stück zu einem japanischen Stoff zwei oder drei Filme zum selben Thema. Das würde die Nachfrage erhöhen und es zugleich ermöglichen, Dekorationen und Kostüme ökonomisch zu nutzen. Eigene Zeitungen und Magazine der Gesellschaft würden den Kult um ihre Schauspieler und Schauspielerinnen fördern. Eigene Elektrotheater würden dafür sorgen, dass man die Einnahmen mit niemandem würde teilen müssen. Dieses ganze weitverzweigte System müsse von oben und von unten geschützt werden. Gute
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