Moskauer Diva
Mappe mit Ihrer Rolle im Portefeuille von Mr. Swist gesehen. Ihre Farbe ist doch gelb?«
Das Gesicht des Schalks geriet in Bewegung, seine Augen zwinkerten heftig. Lowtschilin schwieg.
»Wenn Sie mir nichts sagen wollen, erzähle ich Stern von Ihrem Nebenverdienst«, drohte Fandorin.
»Bitte nicht«, sagte Lowtschilin und schaute sich um, ob auch niemand in der Nähe war. »Ich habe doch nichts Schlechtes … Nun ja, ich antworte manchmal auf Fragen, was bei uns so los ist. Berichte von Änderungen im Repertoire. Als plötzlich Ihr Stück auftauchte,war Zar natürlich sehr interessiert. Es hat ihm übrigens sehr gefallen. Er hat dem Stück einen großen Erfolg prophezeit.«
»Merci. Sie stehen also in ständigem Kontakt mit Zarkow?«
»Nein, mehr mit Swist. Mit Zar selten. Das letzte Mal, als wir über Sie gesprochen haben. Er war sehr neugierig …«
»Tatsächlich?«
»Ja, er hat mich nach meiner Meinung gefragt – ob er Ihnen ein wertvolles Geschenk zur Premiere machen kann. Ich habe abgeraten. Herr Fandorin, habe ich gesagt, ist ein verschlossener, ungeselliger Mensch. Das könnte ihm missfallen …«
»Sie sind ja ein P-psychologe.«
»Zar war nicht erstaunt. Ich glaube, er weiß über Sie mehr als ich …«
Erast Petrowitsch erinnerte sich an seinen Zusammenstoß mit Swist. Zar hatte sich also für den neuen Autor interessiert, Erkundigungen über ihn einholen lassen und viel Interessantes erfahren. Nun, das war günstig.
»Wo haben Sie sich mit Zarkow getroffen? Bei ihm im Kontor?«
»Ja. Ich wurde hingefahren, irgendwo hinter Ostankino.«
»Haben Sie sich den Ort gemerkt?«, fragte Fandorin beiläufig.
»Ja. Aber Swist hat gesagt, sie würden am nächsten Tag umziehen. Und das war vor fast zwei Wochen.«
»Und wo Zarkow jetzt wohnt, wissen Sie das?«
»Woher denn?«
Fandorin überlegte eine Weile und sagte: »Dann Folgendes. Sie werden Zarkow einen B-brief schicken, über Swist. Er steht gerade vor dem Theater. Hier haben Sie einen Stift und ein Blatt Papier. Schreiben Sie. ›Fandorin hat mich über Sie ausgefragt. Wir müssen uns treffen.‹ Man wird Sie unverzüglich in sein Kontor bringen.«
Lowtschilin schrieb brav, verzog jedoch skeptisch die dicken Lippen.
»Wieso? Bloß weil ein Autor ein paar Fragen stellt? Sie wissen doch, wer Zar ist. Ein sehr seriöser Mann!«
»Swist wird Sie unverzüglich zu Zarkow bringen«, wiederholte Erast Petrowitsch. »Sie werden nervös sein. Sie werden ihnen erzählen, ich hätte Ihnen gegenüber einen V-verdacht geäußert. Sagen Sie, Fandorin denkt, Smaragdow und Limbach seien von Zarkows Leuten getötet worden.«
»Wie – getötet?! Sie haben doch Selbstmord begangen!«, rief Lowtschilin aufgeregt. »Außerdem – ich an Ihrer Stelle würde diese Leute nicht reizen. Sie könnten beleidigt sein.«
»Heute Abend komme ich zu Ihnen ins Hotel, und dann erzählen Sie mir, ob sie beleidigt sind oder nicht. Aber vor allem – prägen Sie sich gut ein, wohin man sie bringt.«
Vom Foyerfenster aus beobachtete Fandorin, dass seine Vermutung richtig gewesen war.
Lowtschilin kam heraus und ging zu Mr. Swist. Er sprach mit ihm, den Kopf devot eingezogen. Dann übergab er ihm das zusammengerollte Blatt Papier. Lipkow rollte es auf, runzelte die Stirn. Stellte ein paar Fragen. Dann winkte er mit der Hand – und der Rest lief genauso ab wie am Vortag. Zwei Pinscher kamen herbeigeeilt, der Ford fuhr vor, das zweite Auto blockierte die Straße. Der Schauspieler wurde zu einer Unterredung mit dem Herrscher über die Moskauer Theaterkarten-Spekulanten gebracht.
Bis zum Abend unternahm Fandorin noch einen weiteren Schritt – er traf sich mit Herrn Schustrow, den er zuvor in der »Gesellschaft für Theater und Kinematographie« angerufen hatte. Der Unternehmer war bereit, den Autor sofort zu empfangen.
»Nun, haben Sie es sich überlegt?«, fragte Schustrow und drückte seinem Gast die Hand. »Werden Sie für mich Szenarien schreiben?«
Sein Büro wirkte irgendwie unrussisch. Zierliche Möbel ausStangen und Metallrohren; riesige Fenster vom Boden bis zur Decke mit Blick auf die Moskwa und die dahinterliegenden Fabrikschlote; an den Wänden Bilder – lauter Würfel, Quadrate und gebrochene Linien. Erast Petrowitsch verstand und mochte die moderne Kunst nicht, was er seinem vorgerückten Alter zuschrieb. Jede neue Epoche hat ihre eigenen Augen und Ohren, will etwas anderes sehen, etwas anderes hören. Auch die braven Impressionisten hatten einst als
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