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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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alle einschließen … einschließen …«
    Reading hielt inne. Er schien benommen, unsicher. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Sein Blick verschwamm, und als seine Augen wieder klar wurden, schien es Larson, als wäre dazu eine übermächtige Willensanstrengung vonnöten gewesen.
    »… politische Ziele … die alle unsere Unterschiedlichkeiten … politische Ziele …«
    Plötzlich zuckte die ganze linke Seite von Readings Gestalt zusammen. Seine linke Hand fiel vom Pult und hing wie leblos herab. Er schwankte und stürzte links neben dem Pult zu Boden, schlug um sich und blieb am Bühnenrand liegen.
    Anita Reading schrie auf. Die Zuhörer sprangen von den Stühlen und kreischten. Einige versuchten, auf das Podium zu klettern. Larson stand reglos da; er wußte, was er vor Augen hatte.
    »Bitte lassen Sie mich durch. Ich bin Ärztin. Lassen Sie mich durch, bitte, ich bin Ärztin …« Eine hochgewachsene Frau in Jeans bahnte sich von den hinteren Reihen her entschlossen einen Weg durch den verstopften Mittelgang. Sie sprang auf die Bühne und beugte sich über Reading.
    Nein. Larson weigerte sich, es zu glauben. Malcolm Reading war erst neunundvierzig und gesund wie ein Ochse! Hatte nie geraucht, aß vernünftig, trainierte … Wieso konnte er einen Schlaganfall haben?
    Larson machte immer noch keine Anstalten, nach vorn zu gehen. Die Ärztin sah auf und sagte zu den Leuten, die sich hinter ihr drängten, in energischem Tonfall: »Rufen Sie eine Ambulanz. Sagen Sie dazu, daß es sich um ein Blutgerinnsel im Gehirn handelt. Um einen schweren Schlaganfall. Beeilen Sie sich!«
    Irgend jemand – Larson konnte nicht sehen, wer – beeilte sich. Anita Reading hatte aufgehört zu schreien und schien unverzüglich den Instruktionen zu folgen, die die Ärztin ihr jetzt gab. Bei den Umstehenden war unterschwellig ein Wechsel von hysterischem Erschrecken zu jener halb schuldbewußten Erregung zu verspüren, die immer dann einsetzte, wenn jemand anderer das Opfer war. Ein paar Leute sprachen aufgeregt in ihre Handys. Reporter.
    »Bill?« rief Anita Reading mit hoher, nervöser Stimme. »Wo ist Bill?«
    »Hier«, antwortete Larson und setzte sich schließlich in Bewegung. Sein Körper fühlte sich so plump und schwerfällig an, als müßte er sich durch eine klebrige, dickflüssige Masse hindurchkämpfen. Und so war es auch. Enttäuschung kann an einem kleben wie Schlamm und sich an uns hängen wie Gewichte.
    Malcolm Peter Reading würde nie Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Bill Larson würde nie im Rosengarten stehen und dem Präsidenten Ratschläge erteilen über Gott und die Welt.
     
     
    3. JUNI
     
    Das Städtchen La Plata in Maryland kochte in der schwülen Hitze, selbst nachts, und dabei hatte der Juni erst begonnen. Weit über dreißig Grad tagsüber und in der Nacht nicht viel darunter. Regen an jedem Nachmittag, ein dampfendheißes Geriesel, das einem die Kehle zuschnürte, nach einer Stunde vorbei war und keinerlei Abkühlung brachte.
    »Wird ’ne wilde Nacht«, sagte die Krankenschwester, als sie vom Parkplatz in die Notaufnahme zurückkam. Das Rauchen war im ganzen Innern des Gemeindekrankenhauses verboten, einer bestausgestatteten Hundertbettenklinik, die der ganze Stolz zweier Verwaltungsbezirke war. »Reihenweise schwere Verletzungen. Durch Gewalteinwirkung. Ich kann’s riechen.«
    Die jüngere Schwester lächelte nervös. Es war ihre allererste Nacht in der Notaufnahme.
    »Die werden alle draußen sein, wo’s kühler ist. Und saufen und sich prügeln und einander über den Haufen schießen. Wie sie’s in jeder heißen Sommernacht tun. Wirst es sehen, Rachel.«
    Rachel wandte sich ab. In der Art, wie die Ältere ›die‹ und ›sie‹ sagte, lag etwas, das dem jungen Mädchen nicht gefiel. Etwas … nun, leicht Rassistisches?
    Sie ermahnte sich, nicht vorschnell zu urteilen. Hier im Osten gaben sich die Menschen eben anders als in der kleinen Stadt in Ohio, in der sie aufgewachsen und in die Krankenpflegeschule gegangen war. Der Tonfall hier war eben rauher, und die Leute überlegten sich nicht jedes Wort, bevor sie es aussprachen. Bloß ein regionaler Unterschied. Mehr war es vermutlich nicht.
    Um neun Uhr abends, zwei Stunden nach Beginn ihres Dienstes, hatte Rachel immer noch keine Verletzung zu Gesicht bekommen, die auf Gewaltanwendung zurückzuführen gewesen wäre. Ein Autounfall – nur leichte Abschürfungen. Ein komplizierter Oberschenkelbruch, der sich infiziert hatte. Eine

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