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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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seine Schuhe hat.« Dann öffnete sie die Tür und warf ein paar schwarze Halbschuhe hinein. Sie sagte, sie bekomme davon Blasen, aber sie könne sie nicht zurückgeben, weil sie versucht habe, sie einzulaufen. Natürlich meinte sie das mit dem Schuhzimmer ironisch, also stellen wir einfach alles in diesen Raum, was sonst keinen Platz hat. Alte Steuerbescheide und Schulzeugnisse
und eine Lampe von meiner Oma, die zu teuer war, um sie wegzuwerfen, aber zu deprimierend ist, um sie aufzustellen.
    »Offenbar konnte ich in der ersten Klasse fantastisch mit der Schere umgehen«, sage ich und halte ein Zeugnis hoch. Ich kauere auf dem Boden vor einer großen grünen Plastikbox. »Aber manchmal habe ich Klebstoff gegessen.«
    »Und du bist ausreichend geimpft«, sagt Sean nickend. »Das ist wichtig.« Er greift in die Box und holt ein kleines blaues Notizbuch heraus. Es ist ein Reisepass. Er öffnet ihn.
    Ich schaue über seine Schulter. Er gehört Nina. Auf dem Bild ist sie ungefähr genauso alt wie ich heute. Ihr Haar ist hellrosa, und sie grinst in die Kamera, als wollte sie ihr ein Geheimnis verraten. Ich habe das Bild noch nie zuvor gesehen.
    »Meine Mom hat den wahrscheinlich hier reingeworfen, als wir umgezogen sind«, sage ich. »Da war Nina schon weg.«
    Sean starrt das Foto an, dann mich, dann wieder das Foto. Er schüttelt langsam den Kopf, seine Wangen sind gerötet. »Ihr seht euch unglaublich ähnlich. Wahnsinn. Ihr könntet Zwillinge sein.«
    Ich schaue mir das Bild noch mal an. »Findest du?«
    Ich glaube ihm nicht, bin aber geschmeichelt.
    »Hast du mal daran gedacht, dir die Haare in dieser Farbe zu färben?«, fragt er und tippt auf das Foto.
    »Eigentlich nicht«, sage ich.
    »Würde sicher gut aussehen«, sagt er achselzuckend und reicht mir den Pass. »Du solltest ihn bei dir tragen.« Ich stecke ihn in meine hintere Hosentasche. »Man weiß schließlich nie, wann man ins Ausland flüchten muss.«
    Ich lache und schaue dann wieder in die Box, die ich gerade
durchsuche. Ein kleiner Hund starrt zu mir empor, einen kleinen Schnurrbart über der Nase, ein Barett auf dem Kopf. »Bijoux!«, sage ich und muss bei der Erinnerung lächeln. Ich hebe Ninas Zeichnung hoch. An Bijoux habe ich schon sehr lange nicht mehr gedacht.
    »Was ist das?«
    »Ein Bild von unserem alten Hund«, sage ich. »Bijoux.« Sean schaut mir grinsend über die Schulter. »Bijoux muss einen wirklich guten Gleichgewichtssinn gehabt haben. Die meisten Hunde könnten diesen Riesenhut sicher nicht tragen, ohne umzufallen.«
    »Stimmt«, sage ich. »Zumindest die meisten echten Hunde. Imaginäre Hunde schon.«
    Sean legt fragend den Kopf schief.
    »Wir hatten keinen echten Hund«, erkläre ich. »Das hat unsere Mom nicht erlaubt. Aber eines Tages bekamen wir den besten imaginären Hund der Welt.« Ich mache eine Pause. »Nina hat ihn uns besorgt.«
    Und Sean nickt, als klinge das alles vollkommen einleuchtend. Er schaut wieder auf den Papierstapel in seinen Händen, und bevor ich weiterreden kann, ruft er: »Jawohl!« Er hält mir ein Blatt Papier vor die Nase. »Schau, Ellie!« Es ist die Fotokopie eines Arztbriefes. Sean liest laut vor. »Am 23. Oktober 2006 hatte Nina Wrigley eine professionelle Zahnreinigung und eine Vorsorgeuntersuchung. Sie wurde auch geröntgt…« Sean dreht den Wisch um und zeigt auf die obere rechte Ecke, in der ihre Sozialversicherungsnummer in der ordentlichen Druckschrift meiner Mutter steht. »Da ist sie«, sagt er.

    Ich stehe auf und bin plötzlich atemlos. »Der Computer ist unten.«
    Eine Minute später sitzen Sean und ich Seite an Seite auf der Couch im Wohnzimmer und warten darauf, dass der uralte, zehn Kilo schwere Laptop meiner Mutter hochfährt.
    »Muss nervig sein, sich auf dem Ding Pornos anzusehen«, sagt Sean.
    »Hallo, Ellie.«
    Ich drehe mich um. Meine Mutter steht im Bademantel im Durchgang zwischen Küche und Wohnzimmer und hält ein Glas Saft in der Hand.
    Oh scheiße.
    »Mom«, sage ich. Das Blut schießt mir ins Gesicht.
    Sie reibt sich die Augen und lächelt ein bisschen. Ich weiß nicht, ob sie lächelt, weil sie Seans Porno-Kommentar nicht gehört hat oder weil sie ihn gehört hat. Meine Mom ist mir manchmal ein Rätsel. »Ich habe dich schon seit Tagen nicht mehr gesehen.«
    »Ich war bei Amanda«, sage ich.
    »Oh«, nickt sie. »Bist du sicher, dass es ihrer Familie nichts ausmachst, dass du so oft dort bist?«
    »Ja.«
    »Okay.« Sie nickt, als hätten wir dieses Gespräch nicht schon

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