Mottentanz
des Kontoinhabers? Ich tippe NINA WRIGLEY und drücke die Entertaste. Und dann halte ich die Luft an und warte mit klopfendem Herzen darauf, dass die Seite geladen wird.
»Wenn sie kein Konto hat, erfahren wir das gleich,
stimmt’s?«, frage ich. Sean antwortet nicht, wir starren beide auf den Bildschirm.
Ein neues Eingabefeld ist erschienen. Sozialversicherungsnummer des Karteninhabers?
»Heißt das, sie hat ein Konto? Das heißt es, stimmt’s?« Meine Stimme ist schriller als gewöhnlich, was zeigt, dass ich kurz vorm Durchdrehen bin.
»Ich glaube schon«, flüstert Sean.
Ich tippe die Nummer ein.
Geburtsdatum? Meine Hände zittern.
Bitte beantworten Sie die folgenden vier Sicherheitsfragen.
»Wir sind gleich drin«, flüstert Sean.
Mädchenname der Mutter?
RAINER.
Name des ersten Haustiers? Als Nina sechs war, bekam sie einen Hamster. Ich erinnere mich nicht mehr an ihn, aber ich habe oft die Geschichte gehört, dass mein Vater ihn zurück ins Zoofachgeschäft bringen musste, weil der Hamster nicht aufhörte zu quieken. Sein Name war Quiker ohne e, weil Nina nicht wusste, wie man quieken schrieb. Ich tippe QUIKER.
Erneut drücke ich die Entertaste. Ich habe das Gefühl, ich muss gleich kotzen.
Name der Grundschule?
EAST-ORCHARD-ELEMENTARY.
Die letzte Frage erscheint.
Lieblingslied?
Ich muss lächeln. Ninas Lieblingslied ist Happy Birthday.
Ich tippe das. Drücke Enter.
Herzlich willkommen, Nina Wrigley.
»Heilige Scheiße«, sagt Sean.
Ich klicke auf die Kontoübersicht. Es gibt nur zwei Einträge.
Der erste über 855 Dollar bei einem Sportgeschäft in Edgebridge, Illinois, drei Wochen bevor sie verschwand. Und einer über den Betrag von 11,90 Dollar in einem Restaurant namens Sweetie’s Diner in Pointview, Nebraska, eine Woche nach ihrem Verschwinden.
»Nebraska«, sage ich. »Was zum Henker hat sie denn da gemacht?«
»Keine Ahnung«, sagt Sean. »Vielleicht sollten wir hinfahren und es herausfinden.«
Ich drehe mich zu ihm um.
Meint er das ernst? Er nickt mit dem Kopf in Richtung Tür.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
Er grinst.
Scheiße, er meint das wirklich ernst.
Kann ich das wirklich machen?
Ich starre auf den Computer. Sean ist eigentlich ein Fremder für mich. Aber irgendwie kommt es mir vor, als würden wir uns schon lange kennen. Und er scheint mir wirklich helfen zu wollen. Und da ist er momentan der Einzige in meinem Leben. Ich muss Nina finden und dies ist vielleicht meine einzige Chance…
Ich schaue Sean wieder an. Er erwidert meinen Blick, lächelt und nickt.
Ich hole tief Luft.
Ich nicke zurück.
Und die Entscheidung ist gefallen.
Kapitel 11
In dem Sommer, als ich zwölf Jahre alt war, schickte meine Mutter mich und Nina in den Ferien zu unserer Tante Cynthia, die ein Strandhaus hatte. Sie bestand darauf, eine Luftveränderung und die See würden uns guttun, und es sei wichtig, Zeit mit unserer Tante zu verbringen. »Was sie wirklich damit meint«, sagte Nina am Vorabend unserer Abreise, als sie haufenweise Tanktops in ihre alte blaue Reisetasche stopfte, »ist, dass es ihr guttun wird, wenn sie uns eine Weile los ist.«
»Also wirklich«, schnaubte ich und verdrehte die Augen.
Aber insgeheim freute ich mich unglaublich auf die Reise. Ich liebte das merkwürdige Haus meiner Tante, die warmen Dosen Dr. Pepper, die sie in ihrer Speisekammer aufbewahrte, die Zitronenseife im Badezimmer, und vor allem die Tatsache, dass ihr Haus so dicht am Strand lag, dass der Sand unter der Haustür durchwehte und wir einmal einen Taschenkrebs im Wohnzimmer fanden, der dort herumstolzierte, als gehörte der Laden ihm. Am meisten freute ich mich jedoch darauf, dass ich den ganzen Sommer mit Nina verbringen durfte.
Nina beschwerte sich vor der Reise fürchterlich, aber das
änderte sich, als wir im Zug saßen, der uns zum Haus unserer Tante bringen würde. Wir liefen durch den Waggon, bis wir zwei freie Plätze fanden. Wortlos blieb Nina stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und wuchtete unsere Taschen auf die Gepäckablage. Dann drehte sie sich zu mir um, warf mir ihr verrücktes Nina-Grinsen zu und sagte: »Tja, jetzt sind wir unter uns, Kumpel!« Dann ließ sie sich in ihren Sitz fallen.
Plötzlich war sie wieder ganz die Alte. Und als der Schaffner kam und nach den Fahrkarten fragte, drehte Nina sich zu mir um, zwinkerte mir verschwörerisch zu und sagte mit tadellosem französischem Akzent zu ihm: »Natürlisch. ’ier sind unsäre Tickäts.« Der Schaffner, ein
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