Mottentanz
Und bin auf einmal sehr nervös, obwohl ich nicht genau weiß, warum.
»Tschüs, El.« Brad beugt sich zu mir rüber, küsst mich auf die Wange und flüstert: »Du schuldest mir einen Kaffee.« Das sagt er immer, wenn er gerade ganz besonders nett zu mir war.
»Fertig?«, fragt Sean. Sein Haar fällt ihm ins Gesicht, er schiebt es zur Seite und sieht mir direkt in die Augen. Und es blitzt schon wieder.
Er lächelt.
Mein Magen zieht sich zusammen. »Okay«, sage ich.
Kapitel 9
Der Himmel ist merkwürdig dunkel, die Luft so schwer und feucht wie vor einem Gewitter. Sean führt mich zu einem dunkelblauen Volvo. »Ta-daaaa!«, sagt er. Der Lack ist zerkratzt und die hintere Stoßstange mit Überresten von Aufklebern übersät. Jemand hat wohl versucht, sie abzupulen, dann aber wohl aufgegeben. In einer Ecke ein Stückchen Hellblau mit einem weißen Fleck, ein dunkelgrüner Aufkleber, der nur noch die Buchstaben UR zeigt. Sean schließt die Beifahrertür auf und öffnet die Tür. Dann geht er um den Wagen herum und steigt ein. Ich tue es ihm nach.
Im Becherhalter stecken vier verschiedene Plastikbecher und auf dem Boden liegen weitere. Auf dem Rücksitz liegt eine schwarze lederne Kuriertasche, die mit einem glänzenden Messingschloss gesichert ist. Das Auto riecht nach Tannenduft.
»Tut mir leid wegen der Becher, schieb sie einfach zur Seite«, sagt Sean. »Eiskaffee ist wie Crack für mich.«
»So ein Zufall«, sage ich. »Crack ist wie Eiskaffee für mich.«
Sean lacht. »Ich wusste doch, dass es einen Grund dafür gibt, dass ich dich mag«, sagt er. Er schüttelt leicht den Kopf. Dann lässt er das Auto an. »Wo soll ich dich hinbringen?«
»Ich wohne im Sunrise-Village-Apartmentkomplex«, sage ich. »Hinter dem Supermarkt an der Grays Avenue.«
Sean fährt los und wir schweigen eine Zeit lang. Ich betrachte seine Hände auf dem Lenkrad. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine Meinung zu den Händen eines Jungen hatte, aber seine sind… schön.
»Ich muss dir etwas gestehen.« Sean hebt eine schöne Hand und schiebt sich das Haar aus dem Gesicht. »Ich bin nicht in das Café gekommen, um dir die Regeln fürs Versteckenspielen zu erklären.« Er legt eine Pause ein. »Das Spiel ist nicht besonders kompliziert, Ellie. Und man kann so was auch online recherchieren.«
»Das Internet ist wirklich ein Segen«, sage ich. Mein Herz beginnt zu rasen. »Warum bist du dann gekommen?«
»Die Wahrheit? Ich habe dich gestern nach der Party vergeblich gesucht und das hat mir Sorgen gemacht. Die Feuerwehr sagte zwar, alle seien rechtzeitig aus dem Haus entkommen, aber man weiß ja nie.« Er schaut mich kurz an und richtet den Blick dann wieder auf die Straße. »Da fiel mir ein, dass du gesagt hast, du arbeitest im Mon Cœur, also dachte ich, ich komme vorbei und gucke mal, ob es dir gut geht. Ich hoffe, das findest du nicht zu schräg, schließlich haben wir uns nur dreißig Sekunden lang unterhalten…«
»Nein, das war nett von dir«, sage ich schnell. »Mir geht’s gut, danke der Nachfrage.«
»So siehst du aber nicht aus… als ich zur Tür reinkam, hast du unglaublich traurig gewirkt. Und auf der Party auch.« Sean verstummt. Ich sage nichts. »Hast du ihn gefunden? «
»Wen?«
»Den Typen, den du auf der Party gesucht hast. War es der mit den miesen Tattoos?«
»Oh«, sage ich. »Ja. Irgendwie schon. Na ja, ich dachte es zumindest, aber ich hatte mich getäuscht.«
»Er ist also nicht dein Freund oder so?«
»Ha! Mit Sicherheit nicht«, sage ich.
»Okay, gut. Das dachte ich mir. Ich meine, er sieht nicht aus wie jemand, den du daten würdest. Wirkte auf mich wie ein Loser.«
Ich fühle mich geschmeichelt, denn seine Worte bedeuten, dass er denkt, ich hätte Dates. Was natürlich nicht stimmt.
»Also hat’s der Tattoo-Typ nicht gebracht?«
»Er hat seine Hand an meinen Hintern gebracht«, erkläre ich. »Und ich dann mein Knie in seine Eier. Das war alles.«
»Gut gemacht«, sagt Sean. »Aber warum hast du ihn dann gesucht?«
Ich hole tief Luft. Und dabei wird mir klar, dass ich ihm die Wahrheit sagen muss. Nicht, weil ich das für eine besonders gute Idee halte, sondern weil ich es einfach tun muss.
»Ich habe nach meiner Schwester gesucht«, sage ich. »Sie ist seit mehr als zwei Jahren verschwunden.« Es gibt kein Zurück mehr. Wir stehen an einer Ampel und ich werfe Sean einen Blick zu. Er dreht sich in meine Richtung und nickt kaum merklich mit dem Kopf. Ich hoffe, es ist kein Fehler, ihm
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