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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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tun könnte, um das zu ermöglichen, dann würde ich niemals aufhören, es zu versuchen, Ellie. Niemals. Dass wir uns getroffen haben, ist Schicksal, Ellie. Weil ich keine Chance habe, meinen Bruder zurückzubekommen. Ich kann nichts daran ändern, dass er nicht mehr lebt. Aber vielleicht kann ich dir helfen.« Sean macht eine Pause. »Klingt das verrückt?«

    Ich schüttele den Kopf. Mir wird ganz warm.
    »Soll ich mit reinkommen?«, fragt er. »Du könntest mir die Zeichnung zeigen.«
    Ich zögere den Bruchteil einer Sekunde, in der ich durch den Regenschleier auf unsere Eingangstür schaue und mich daran erinnere, dass meine Mutter heute Nachtschicht hat, was bedeutet, dass sie nicht hier ist und erst morgen früh zurückkommt.
    »Ja«, sage ich leise. »Das wäre toll.«

Kapitel 10

    Als wir in mein Zimmer kommen, fällt mir auf, dass ich zum ersten Mal einen Jungen mitgebracht habe.
    Ich versuche, mir vorzustellen, wie es durch seine Augen aussieht. Zerwühltes Bett, eine Kommode, ein Nachttisch, ein Schreibtisch, ein paar Klamotten auf dem Boden. Wahrscheinlich wirkt es ziemlich unbewohnt, was auch stimmt, da ich die meiste Zeit bei Amanda verbringe.
    Ich setze mich auf mein Bett, Sean setzt sich auf meinen Schreibtischstuhl und ich erkläre weiter Ninas Zeichnung. »Dann habe ich bei der Nummer angerufen, die draufsteht, aber der Typ wusste nichts, konnte sich nicht mal an sie erinnern. Und der Typ im Mothership sagte, er habe das Buch im Keller gefunden, aber der war quasi leer. Und falls es doch noch andere Hinweise gegeben haben sollte, sind sie inzwischen alle verbrannt.«
    Sean streckt die Hand aus und ich gebe ihm die Zeichnung. Meine Fingerspitzen berühren seine einen Sekundenbruchteil lang. Mir ist das sehr bewusst. Sean hält sich die Zeichnung dicht vors Gesicht und starrt darauf. Er bewegt sich nicht, blinzelt nicht und atmet offenbar auch nicht. Ich frage mich, ob er schon bereut, dass er mir seine Hilfe angeboten
hat, denn ihm ist jetzt sicherlich klar, wie vergeblich unsere Suche sein wird.
    »Kein Stress«, sage ich. »Ich meine… oder…« Und dann verstumme ich, weil Seans Kiefer herunterklappt und sich plötzlich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht zeigt. »Ellie«, sagt er langsam. Seine Augen leuchten. »Ist dir das hier aufgefallen?« Er springt vom Stuhl auf und landet neben mir auf dem Bett. Er dreht die Zeichnung um und zeigt mir die aufgedruckte Kreditkarte auf der Rückseite.
    »Was meinst du?« Mein Herz klopft.
    »Das ist ein Kreditkartenvordruck.« Er tippt mit dem Finger darauf.
    Ich nicke, blinzele. »Und?«
    »Weißt du, wo man so etwas bekommt? Mit der Post, wenn einem eine Kreditkarte angeboten wird…« Sean nickt mir zu, und ich versuche, seine Schlussfolgerung nachzuvollziehen. »Also …«
    Ich schüttele langsam den Kopf. »Also?«
    »Deine Schwester ist doch ein paar Monate vor ihrem Verschwinden achtzehn geworden, stimmt’s? Kreditkartenfirmen haben Listen mit allen Amerikanern, die bald volljährig werden, also schicken sie ihnen an ihrem Geburtstag Angebote und versuchen, ihnen eine Karte anzudrehen.«
    »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«
    »Wahrscheinlich hat deine Schwester haufenweise solcher Angebote im Briefkasten gehabt. Was wäre, wenn sie sich wirklich eine Karte besorgt hat?« Er dreht die Karte um und zeigt auf das Firmenlogo. »Zum Beispiel von der Bank of USA. Ich wette, wir könnten uns problemlos in ihr Konto
einloggen, weil du ihre Schwester bist. Wir brauchen nur ihre Sozialversicherungsnummer und müssen dann wahrscheinlich noch ein paar Sicherheitsfragen beantworten. Die fragen immer nach dem Mädchennamen der Mutter und andere Sachen, die du alle wissen müsstest.«
    »Okay«, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln.
    »Was ist?«
    »Eine schöne Idee. Danke, dass du daran gedacht hast.«
    »Warum guckst du dann so traurig?«
    »Ich glaube nicht, dass es funktionieren wird.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist zu einfach.«
    »Und deshalb«, Sean schaut mir direkt in die Augen, den Mund zu einem verschmitzten Lächeln verzogen, »deshalb wird es auch klappen.«
     
    Drei Minuten später sind wir im Gästezimmer, dass für mich immer Ninas Zimmer sein wird, obwohl Mom es als Abstellkammer nutzt und wir erst nach Ninas Verschwinden hierher gezogen sind. Kurz nach dem Umzug machte meine Mutter einen der wenigen Witze, die ich jemals von ihr gehört habe. Sie sagte: »Ellie, man hat es geschafft im Leben, wenn man ein eigenes Zimmer für

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