Mount Dragon - Labor des Todes
ausgerechnet auf ihn gekommen war, der in den letzten eineinhalb Jahren mit nichts anderem als endlosen Titrieranalysen und Qualitätskontrollen beschäftigt gewesen war, aber im Augenblick war ihm das egal Er stellte sich vor, was der Fettsack Peck wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er von einem Dritten erfuhr, daß Scopes höchstpersönlich ihn, Carson, nach Mount Dragon versetzt hatte. Mit einem tiefen Summen fuhren die Rollos an den Fenstern wieder nach oben und gaben den Blick auf die triste, regenverhangene Industrielandschaft von New Jersey frei. In der grauen Feme konnte Carson die Hochspannungsleitungen und die Schornsteine sehen, aus denen irgendwelche giftigen Emissionen in die bleigrauen Wolken stiegen. Er dachte an den blauen Himmel, der sich viele tausend Kilometer weiter westlich über der Wüste mit ihren scharf riechenden Kreosotsträuchern wölbte, an die dunklen, schroffen Berge am Horizont und daran, daß man dort tage- und nächtelang reiten konnte, ohne einem einzigen Menschen zu begegnen. Mitten in dieser Wüste befand sich Mount Dragon, wo auf Carson die Chance seines Lebens wartete. Zehn Minuten später, als die Rollos herunterfuhren und der Projektionsschirm wieder hell wurde, wußte Carson, was er Scopes antworten würde.
Carson trat hinaus auf die windschiefe Veranda, stellte seinen Seesack neben die Tür und setzte sich in den alten, abgenutzten Schaukelstuhl. Der Stuhl knarzte laut, als nähme das alte Holz Carsons Gewicht nur unter Protest auf. Carson lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und ließ die Blicke über die weite Jornada-del-Muerto-Wüste schweifen.
Die Sonne - ein brodelnder Ball aus explodierendem Wasserstoff zeigte sich gerade über der Silhouette der San-Andres-Berge. Obwohl es auf der morgendlichen Veranda mit fünfzehn bis achtzehn Grad noch relativ kühl war, spürte Carson bereits die Strahlung des Himmelskörpers auf seinem Gesicht. In weniger als einer Stunde würde es hier über vierzig Grad heiß sein. Der tiefviolette Himmel wurde langsam blau, später, in der Mittagshitze, würde er eine fast weiße Farbe annehmen. Carson schaute die ungeteerte Straße entlang, die vor dem Haus vorbeilief. Engle war einer jener Geisterorte, wie es sie in der Wüste von New Mexico häufig gibt: eine Handvoll Lehmziegelbauten mit schrägen Wellblechdächern, eine verwaiste Schule, ein aufgelassenes Postamt und eine Reihe toter Pappeln, denen der Wind längst die letzten Blätter geraubt hatte. Wenn hier überhaupt mal etwas vorbeikam, dann war es höchstens eine Windhose. Nur in einer Hinsicht war Engle keine typische Wüstenstadt: Die Firma GeneDyne hatte den ganzen Ort aufgekauft und verwendete ihn jetzt ab und zu als Zwischenstation für die Fahrt nach Mount Dragon.
Carson schaute auf den Horizont. Gut hundertfünfzig Kilometer entfernt, am anderen Ende eines staubigen, felsigen, sonnenverbrannten Streifens, den nur Einheimische eine Straße nannten, befand sich der Gebäudekomplex, der zwar offiziell »Testlabor der Firma GeneDyne« hieß, allgemein aber nach einem alten Vulkankegel gleich in der Nähe Mount Dragon genannt wurde. In diesem hochmodernen Labor machte GeneDyne gentechnische Experimente an Mikroorganismen, die für bewohntere Gebiete viel zu gefährlich waren.
Carson sog die trockene Wüstenluft tief in seine Lungen. Dieser Geruch nach Staub und Mesquitsträuchern war es, den er in den vergangenen eineinhalb Jahren am meisten vermißt hatte. Es war der saubere Geruch der Trockenheit. New Jersey kam ihm jetzt geradezu unwirklich vor, wie ein Alptraum aus einer fernen Vergangenheit. Er fühlte sich wie jemand, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war, einem grünen, überfüllten und feuchten Gefängnis voller Autoabgase, Tankstellen und riesigen Einkaufszentren. Auch wenn sein Vater schon vor vielen Jahren seine gesamte Ranch an die Banken verloren hatte, fühlte sich Carson hier noch immer daheim. Trotzdem hatte diese Heimkehr einen merkwürdigen Aspekt, denn schließlich kam er nicht, um Vieh zu züchten, sondern um an einem Projekt im Grenzbereich der Wissenschaft zu arbeiten, bei dem er noch immer nicht wußte, worum es sich genau handelte.
Am fernen Horizont war jetzt im Dunst ein kleiner, dunkler Fleck auszumachen. Bald darauf erkannte Carson, daß es eine Staubwolke war, die sich in seine Richtung bewegte. Er beobachtete sie noch ein paar Minuten, dann stand er auf und ging ins Innere des alten Hauses, wo er den Rest kalten
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