Mozart - Sein Leben und Schaffen
hervorzurufen. Aber darin liegt noch nicht musikalische Kultur. Wie das musikalische Kunstwerk, nicht gleich den Erzeugnissen der anderen Künste, einmal geschaffen, dauernd dasteht, sondern zum wirklichen Leben der jedesmaligen liebevollen Neuschöpfung bedarf, wie also neben die Produktion mit höchster Bedeutsamkeit die Reproduktion tritt, so wird man von musikalischer Kultur nur sprechen können, wenn die Aufnahmefähigkeit für Musik hoch gesteigert ist. Wir preisenWeimar als den Musenort an der Ilm; aber es bedarf keiner besonders tiefgehenden kulturgeschichtlichen Studien, um zu erkennen, daß die Gemeinde, die unsere großen Dichter in Weimar hatten, sehr eng, daß der Widerhall, den ihre Werke fanden, doch nur klein war. Ihre ungeheure Wirkung beruhte auf der Tragfähigkeit des Buches, der Möglichkeit, durch alle Lande deutscher Zunge auf beredten Blättern zu jedem empfänglichen Herzen, zu jedem starken Geiste zu sprechen. Aber von eigentlicher literarischer Volkskultur kann man auch beim Weimar Karl Augusts nicht sprechen. Vielleicht haben wir in diesem Sinne überhaupt noch nie eine literarische Volkskultur besessen und jedenfalls in der Neuzeit auch noch nie eine Kultur der bildenden Künste, wohl aber im höchsten Maße eine musikalische Kultur.
Sicher ist die Musik gerade in deutschen Landen in höherem Maße als jede andere Kunst imstande, eine umfassende Kulturkraft zu werden. Der Genuß der Dichtung setzt eine höhere geistige Schulung voraus. Je bedeutsamer die dichterischen Werke werden, um so tiefer dringen die in ihnen behandelten Fragen, um so höher stiegen die vorgetragenen Gedanken. Es werden immer nur enge Gebiete der Literatur sein, die das Volk als Gesamtheit zu packen vermögen, und es ist leider nicht zu leugnen, daß durch die Einflüsse der gesamten geschichtlichen Entwicklung diese literarischen Gebiete für das deutsche Volk nicht groß sind, sich wenigstens seit etlichen Jahrhunderten auf die Lyrik beschränken. Ganz wenige Dichtungen machen da eine Ausnahme, und sicher liegt die höchste kulturelle Bedeutung Schillers in der Tatsache, daß es ihm gelungen ist, wenigstens in dreien seiner Dramen (Räuber, Kabale und Liebe, Tell) mit höchster Kunst Stoffe für das Theater zu behandeln, die von so allgemeiner Wirkungskraft sind, daß hier der Begriff »Nationalbühne« im höchsten Sinne des Wortes erfüllt ist.
In höherem Maße als die Literatur ist die bildende Kunst zur Trägerin der Volkskultur geeignet, denn sie erheischt nur den lebendigen Sinn des Auges zu ihrem Verständnis. Aber gerade dieser Sinn bedarf einer gewissen, zum großen Teil unbewußten, aber darum nicht minder eindringlichen Schulung, um wirklich für Kunst und fast nochmehr für die Kunstform in der Natur empfänglich zu sein. Es ist gewiß tragisch, aber darum nicht minder wahr, daß die gesamte Lebensführung, die doch eigentlich die uns von der Natur verliehenen Sinnenkräfte schärfen sollte, dazu beiträgt, die uns angeborene freudig-naive Einstellung des Auges auf den Genuß der Schönheit, das bei jedem Kinde zu beobachtende Aufmerken auf jeden Gegenstand, das unendlich reiche Sehen, im Laufe der Zeit immer mehr abzuschwächen. Jedes Naturvolk ist in dieser Fähigkeit des Sehens den sogenannten Kulturvölkern unendlich überlegen. Was diese an Stelle jener rein sinnlichen Fähigkeit zu entwickeln vermögen, ist die ausgesprochen künstlerische Kultur des Augensinnes. Aber dazu bedarf es nicht nur einer langen Überlieferung; Vorbedingung oder doch wenigstens hohe Begünstigung dafür ist doch auch die Umgebung der Natur. Die Klarheit der Linienführung in der italienischen Landschaft ist ebenso bedeutsam wie die duftige Luft der französischen. Beide Landschaften bergen keine Geheimnisse, liegen übersichtlich vor den Augen. Die durchbrochene deutsche Landschaft dagegen wirkt mit den überall vorhandenen Senkungen, den vielen Gebüschen, die ja alle etwas Unsichtbares umschließen können, mit der stark wechselnden Wolkenbildung weniger als Erscheinung auf den Sinn des Auges, als durch dieses Auge auf die innerlich tätige Phantasie. Vor allen Dingen aber gehören zur Entwicklung einer künstlerischen Kultur günstige äußere Verhältnisse, die entweder, wie etwa in Italien, geradezu auf dem Vererbungswege überkommen werden können oder in der günstigen sozialen und ökonomischen Lage eines Landes beruhen. Die hohe künstlerische Kultur, die das deutsche Bürgertum im 15. und 16. Jahrhundert
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