Mozart - Sein Leben und Schaffen
auszeichnete, ist dessen Zeuge. Seither war gerade Deutschland, zumal nach dem Dreißigjährigen Kriege, ein armes Land geworden, das an die künstlerische Ausschmückung seines Lebens kaum denken konnte, wo es schwer genug war, dieses Lebens Notdurft zu erfüllen.
Aber was für die anderen Künste vom Übel war, geriet der Ausbildung der Musik zum Heile. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, Deutschland als den Hort der Musik zu betrachten, daß diese Erscheinung gemeinhin auf die Uranlage unseres Volkstumszurückgeführt wird. Auch Viktor Hugo meinte in jenem berühmten Dithyrambus auf die Bedeutung Deutschlands für die Welt, der sein Buch »Shakespeare« ziert, daß »der höchste Ausdruck Deutschlands nur durch die Musik« gegeben werden könne. Es ist bei einem Volke, das seit mehr als einem Jahrtausend in der Fähigkeit, von anderen Völkern Kultur zu empfangen und diese zu verarbeiten unvergleichlich ist, doppelt schwierig, die Uranlage seines Volkstums zu untersuchen. Aber selbst wenn wir diese vorwiegend musikalische Anlage des deutschen Volkes annehmen, so bleibt es doch eine nach meinem Gefühl bei weitem nicht genug beobachtete Tatsache, daß diese Veranlagung dann erst sich bedeutsam entfaltet hat, als durch schwere äußere Schicksale das Deutschtum überhaupt mit Vernichtung bedroht war. Für das musikalische Schaffen an sich, aber ganz scharf für die vorwärtsbewegende Entwicklung der Musik ist Deutschland bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts von ganz geringer Bedeutung gewesen. Alle großen Errungenschaften der Musik – der gregorianische Choral, die Entwicklung zur Mehrstimmigkeit, der einstimmige begleitete Gesang, damit die Oper, die wichtigsten Anregungen für die Instrumentalmusik – sind bis dahin in anderen Ländern gewonnen worden. Gewiß hat sich Deutschland schon damals als sehr fähig zur Aufnahme und Verarbeitung des Überkommenen erwiesen, aber selbst ist es nicht bedeutsam schöpferisch hervorgetreten. Jedenfalls ist bis zu dieser Zeit die Betätigung Deutschlands in den bildenden Künsten und der Literatur jener in der Musik weit überlegen. Erst als der deutsche Staat zertrümmert, als die gesamte äußere deutsche Lebenskultur vernichtet war, als sich Literatur und bildende Kunst offiziell in die Knechtschaft der Fremde begaben, so daß die Zugehörigkeit zu den vornehmen und gebildeten Kreisen geradezu die Loslösung, ja einen Gegensatz zum eigenen Volkstum bedeutete, – erst da entdeckte dieses unterdrückte und bedrückte deutsche Herz die Musik als Trösterin und Befreierin. Befreierin aus der Enge des äußeren Lebens, die nicht behindert werden konnte durch noch so traurige äußere Verhältnisse. Es war die Kunst der abseits vom großen Leben Stehenden, der Einsamen, die das Fundamentschuf für den riesenhaften Wundermann Joh. Seb. Bach . Als bescheidene Kantoren hinter den Orgeln der kleinen deutschen Nester saßen jene Männer, die die majestätische Architektur der Musik am reinsten und gewaltigsten erfaßt haben. Aus den gleichen Verhältnissen ging der Welteroberer Händel hervor, der dann die Fähigkeit der deutschen Natur zur Herrschaft in diesen Zeiten nationaler Sklaverei bewies wie kein anderer.
Die Musik ist in Wahrheit die Erweckerin deutschen Lebens gewesen, sie hat das Erdreich vorbereitet, den Acker gepflügt, so daß nachher die Saat der Dichtung in so unvergleichlich schneller und reicher Weise aufgehen konnte. Denn die Musik ist eine Kunst des Volkes . Jeder vermag ihr nahezukommen und, was wichtiger ist, jeder vermag sie auszuüben . Hier erweist sich die ungeheure und mit den entsprechenden Verhältnissen auf den anderen Kunstgebieten gar nicht zu vergleichende Bedeutung der Reproduktion in der Musik noch rein als Segen, nicht als Fluch der Verweichlichung des Geschmacks und des Charakters, noch als Verleitung zum blöden und hochmütigen Dilettantismus, wie wir ihn heute haben. Aber man denke daran, wieviel Tausende damals in den Kirchenchören singend mitwirkten, also künstlerisch tätig waren; wieviel Tausende bescheidener kleiner Instrumentalisten in allen Kirchen und Kirchlein Deutschlands musizierten. Wie sie dann diese Musik hinaustrugen aus der Kirche ins Leben, so daß am bescheidensten Ort Kunst aus dem Leben herauswuchs und so ganz mit diesem Leben verwuchs, das von den meisten Volksgewohnheiten, von den meisten Volkseinrichtungen, geschweige denn von den Volksfesten die Musik gar nicht zu trennen ist.
Damit diese musikalische
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