Mozart - Sein Leben und Schaffen
sondern erst, wenn dieses ganze Neue als Besitz von einem Menschen umschlossen werden kann, so daß er davon übervoll wird. Es setzt diese Möglichkeit eine gewisse Ruhe voraus. Es muß ein Gefühl so stark sein, daß es stetig wird, nicht von anderen berührt und beeinflußt. Ich möchte sagen, die Musik sei die am wenigsten journalistischealler Künste. Sie kann nicht im Tagestreiben, im Tagesleben gedeihen. Oder dann höchstens in jenen kleinen Formen des Liedes oder irgendeiner schlagenden Melodie, wie sie z.B. bei allen Revolutionen eine große Rolle gespielt haben. Sonst aber muß für die Musik am günstigsten sein, wenn ein starkes Empfinden sich voll ein- und ruhig ausleben läßt.
Das war im damaligen Wien der Fall, vor allen Dingen auf den Gebieten des Empfindungslebens. Es fehlte hier die Ablenkung durch ein Tatleben, ja sogar die Betätigungsmöglichkeit auf dem Gebiete des sozial- und nationalpolitischen geistigen Schaffens. Dem Bürgerlichen blieben zur höheren geistigen Betätigung nur Wissenschaft und Kunst. Aber auch der größte Teil des Adels wußte in dieser Zeit keine andere Beschäftigung. Des militärischen Lebens war man nach den schweren Anstrengungen des Siebenjährigen Krieges müde; die Staatsmaschine lief so gleichmäßig und ruhig, daß da auch keine lockenden Aufgaben winkten. So hat sich auch der Adel in Deutschland, vor allen Dingen in Österreich, niemals eifriger um die Musik bemüht als in dieser Zeit. Es war zuvor in der Barock- und Rokokozeit so außerordentlich viel gebaut worden, daß dafür wenig mehr zu tun war. Überall standen die zierlichen Landschlößchen, die nach einem heiteren Gesellschaftsleben verlangten. Die Kunst der Geselligkeit aber ist in unvergleichlichem Maße die Musik. Die Musik ist des ferneren die billigste Kunst, erst recht bei den damaligen sozialen Verhältnissen, wo man sich das Hausorchester aus den Dienstboten zusammenstellte. Endlich ist die Musik jene Kunst, bei der der Dilettant es am weitesten bringen kann, weil er hier das Gebiet des Reproduzierens nicht zu verlassen braucht, um doch das volle Empfinden des Kunstschaffens zu haben. Die Namen Haydns, Mozarts und Beethovens (und zwar der dieses letzteren, des großen Revolutionärs, am allermeisten) sind aufs engste mit einer langen Reihe von Namen österreichischer Adelsfamilien verbunden. Diese drei Künstler haben ihr bestes Publikum im Adel gehabt. Und erst mit Schubert verschiebt sich das Verhältnis zugunsten des Bürgerstandes. Bei der Generation der Schumann, Mendelssohn, Chopindenken wir gar nicht mehr an den Adel. Das nachfolgende Virtuosentum setzt das breite Bürgertum der Städte, im höchsten Sinne sogar die Hochfinanz voraus. Und die herrlichste Bedeutung Wagners als Kunstpolitiker liegt darin, daß er das Volk in seiner Gesamtheit wieder aufruft und sich mit seiner Kunst so ans ganze Volk wendet, wie es seit dem deutschen Volkslied Kunst nicht mehr getan hatte, außer in einzelnen Dramen Schillers, der ja in all diesen Dingen mit Wagner eng verwandt ist.
Man muß sich diese sozialen Schiebungen in der Geschichte der Kunst öfter klarmachen, als es zu geschehen pflegt. Vor allen Dingen werden auch die Schicksale der Künstler uns dadurch viel verständlicher und natürlicher. Man hört immer wieder die Verwunderung darüber aussprechen, daß Mozarts Kunst im Volke keinen stärkeren Widerhall gefunden habe, daß er nicht durch die Parteinahme des Volkes zu einer bedeutenden Lebensstellung emporgetragen worden sei. Aber dieses Volk kam gerade auf dem Gebiete, zu dessen Bebauung sich Mozart am meisten berufen fühlte, in der Oper, als Kunstempfänger fast gar nicht in Betracht. Die Oper hatte sich bislang als höfische Unterhaltungsgattung entwickelt. Das Verständnis derselben setzte einen gebildeten Kunstgeschmack voraus, wie ihn nur eine fachmusikalische Erziehung geben kann. Man muß etwas von Gesangstechnik verstehen, man muß Formempfinden haben, um an der alten italienischen Oper Gefallen zu finden. Bisher war das Volk doch lediglich als Zuschauer geduldet worden. Erst jetzt fing man an, daran zu denken, die Teilnahme dieses Volkes zu wecken. An verschiedenen Stellen wird der Plan einer Nationalbühne, einer Nationaloper aufgenommen. Aber das alles waren doch erst Anfänge, die überall wieder ins Stocken gerieten. Andererseits ist es nun sehr leicht begreiflich, daß die Adelskreise an Mozarts Opernmusik nicht das volle Gefallen fanden. Von Natur konservativ, waren sie in
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