Mozart - Sein Leben und Schaffen
das wir in der späteren Musik leider so oft vermissen müssen. Trotzdem Wolfgang sich von dem Entführungsquintett die höchsten Wirkungen versprach, trotzdem er es bereits weitgehend skizziert hatte, ließer es nun aus Rücksicht auf das Ganze vollkommen fallen. Die ganze Entführungsszene wurde nun Dialog, nur Pedrillos Ständchen blieb stehen. Zur musikalischen Bereicherung erhielten Osmin und Belmonte Arien, die durchaus der Stimmung entsprechen. Den Schluß bildet eines jener damals so beliebten Vaudevilles, in welchem alle der Reihe nach des Bassa Selim Edelmut preisen.
So entstand ein doch in allem Wesentlichen recht guter Operntext. Wenn die Handlung auch nicht spannend ist, so reicht sie doch zu, die Teilnahme des Hörers wachzuhalten, und bietet sehr günstige Grundlagen für eine natürliche Entwicklung der verschiedenartigen musikalischen Formen. Mozart verteidigte denn auch das Buch mit guten Gründen gegen die Bedenken seines Vaters: »Was des Stephanie seine Arbeit anbelangt, so haben Sie freilich recht. Doch ist die Poesie dem Charakter des dummen, groben und boshaften Osmin ganz angemessen, und ich weiß wohl, daß die Verseart darin nicht von den besten ist. Doch ist sie so passend mit meinen musikalischen Gedanken (die schon vorher in meinem Kopf herumspazierten) übereingekommen, daß sie mir notwendig gefallen mußte.«
Aber auch die Charaktere der Oper erwiesen sich im allgemeinen als außerordentlich günstig. Mit Belmonte schuf Mozart das Urbild jener liebenswürdigen Jünglinge, die seither zu den sympathischsten Gestalten der deutschen Oper gehören. Er selber fügte noch Tamino und Don Octavio hinzu; Max im Freischütz, Hüon (Oberon) sind die nächsten Nachfolger. Urdeutsche Gestalten auch darin, daß sie nicht durch wilde Leidenschaftlichkeit, sondern durch Stetigkeit eines tiefen innerlichen Empfindens sich auszeichnen. Die Konstanze ist etwas blasser; es offenbart sich hier wieder einmal, wie hemmend äußere Vorbedingungen wirken können. Aber so bedeutend das Zugeständnis an die Schulung der Sängerin Cavalieri ist, es dürfte doch schwierig sein, in der italienischen Oper eine Gestalt zu finden, bei der sich die Würde und Hoheit des jungen liebenden Weibes so eng verbunden mit weiblicher Hilfsbedürftigkeit und Anschmiegsamkeit zeigen. Das frische, etwas schnippische, derbe, aber kerngute, immer lustige Blondchen ist das Urbild jener großenZahl von Soubrettenrollen, die Mozart selber noch mit Susanne, Zerline und Despina so glänzend bereichert hat. Pedrillo aber ist der erste jener Knappen, Begleiter, Diener, die in den deutschen Opern das volkstümliche und humoristische Element zu vertreten haben. Dabei ist es besonders erfreulich, daß dieser Buffo nicht durch Äußerlichkeiten komisch wirkt, daß er kein Hasenfuß und auch kein Dummkopf ist, sondern ein gerader, frischer, wackerer Bursche. Keiner hat in der Hinsicht von Mozart mehr gelernt als Lortzing. Am höchsten aber steht doch die Gestalt Osmins , die eigentlich ganz eine Schöpfung Mozarts ist. Wie diese in ihrem wilden Fanatismus und bestialischen Roheit schier dämonische Gestalt dauernd komisch wirken muß durch die Ohnmacht, die wütenden Ausgeburten ihrer blutrünstigen Phantasie in die Tat umzusetzen, durch die Schwäche gegenüber Wein und Weib, macht diese Schöpfung zu einer der glänzendsten der gesamten Weltliteratur. Und nun diese Charaktere in den denkbar verschiedensten Lagen eines stets erregten Empfindungslebens. Goethe hat an Kayser geschrieben (20. Juni 1785): »Die Alten sangen saltare comoediam . Hier soll eigentlich saltatio sein. Eine anhaltend gefällige, melodische Bewegung von Schalkheit zur Leidenschaft, von Leidenschaft zur Schalkheit.« Mozart hat jene Forderung der Alten schwerlich gekannt, aber sie entsprach seiner ureigenen Natur, keine Scheidewand aufzurichten zwischen ausgelassenster Stimmung und tiefstem Empfinden, sondern alles in jener Fülle und Einheit zu bieten, wie sie das Leben selbst zeigt. Das Ganze wird geadelt durch einen solchen Schönheitsausdruck der Melodie, daß es einem Lebenszustande entspricht, der so hoch über der Schwere des Alltags steht, wie das Springen, das Tanzen über dem gewöhnlichen Gehen: gehobene Lebensbetätigung, Freiheit und Schönheit, Überschwang der Bewegung, Lustigkeit aus Fülle der Kraft.
Als Musiker konnte Mozart gegenüber dieser vom Herkömmlichen sehr abweichenden Aufgabe sein Ziel natürlich nicht in der einfachen Übernahme der Formen
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