Mozart - Sein Leben und Schaffen
hatte und merkte, daß darunter einer oder einige waren, die mitzugehen bereit waren, dann setzte sich seine Phantasie zur Mitteilung in Bewegung und er begann zu improvisieren. Gewiß sind alle diese Improvisationen im wesentlichen subjektiv-lyrisches Sichausleben. Aber man braucht zum Vergleich nur etwa an Schumanns Klaviermusik zu denken, um sofort klar zu fühlen, daß Mozart nicht Stimmungslyriker in dem Sinne war. Wenn er phantasierte, so geschah es mit wunderbarer Ausgestaltung der Formen. Liebte er doch gerade in solchen Fällen besonders die Variation. Damit stimmt überein, daß die äußeren Lebenszustände und die daraus hervorwachsenden Lebensstimmungen in Mozarts Schaffen gar nicht zum Ausdruck kommen. Das waren völlig getrennte Welten. Er hat in trübseligsten Zeiten die heitersteMusik geschrieben. Ihm war die Kunst eine Welt für sich. Seine Kunst wird reifer, wird ernster mit der Zeit und der Fülle der Erlebnisse, im wahrsten Sinne des Wortes tiefer. Aber in seinen sämtlichen Werken bekommen wir keinen Schlüssel zum Erleben und Leben des Menschen, der sie geschaffen hat. Das ist wie bei Shakespeare. Wäre es nach Mozarts innersten Herzenswünschen gegangen, so hätten wir auch von ihm nur dramatische Musik. Neben alledem hätte er doch sich selber in jenen stillen Stunden der Nacht, die er am liebsten am Flügel zubrachte, frei musiziert. Frei vom Leben wahrscheinlich, – bis er sich so harmonisch und abgeklärt fühlte, daß er auch andern Eintritt gewähren konnte ins Reich der Kunst, wie es ihm vorschwebte.
Das Schicksal hat ihm und uns diese Arbeit nach persönlichen Wünschen nicht gegönnt. Dank seiner unvergleichlichen Fruchtbarkeit mußten auch die Zeiten zwischen den Opern mit Schaffen ausgefüllt werden. Aber dazu, daß er nun dieses Schaffen zu überkommbaren Werken gestaltete, bedurfte es eines ähnlichen in der Umwelt liegenden Anlasses, wie ihn eben die Oper bot. Es mußte irgendeiner ein Musikstück verlangen. Dieser eine konnte auch er selber sein, indem er mit Musik vor die Gesellschaft treten, d. h. ein Konzert geben wollte. In ihm wogt wie unterirdisches Gewässer ein ewig sprudelnder Quell von Musik. Aber diese Quelle muß angebohrt werden, damit sie ans Licht tritt; dann schießt sie in das Bett, das ihr gegraben ist: sei es das ungeheuer breite Strombett einer Sinfonie, sei es zum stolzen Fluß eines Konzertes oder auch nur ein kleines Bächlein. Das ist sicher ganz einzig dastehend, daß ein so mit Musik angefüllter Mensch immer das schafft, was andere brauchen, was eine Gelegenheit verlangt. Es ist das nur bei einem so unvergleichlichen Reichtum möglich, bei dem gar nicht daran zu denken ist, daß er sich einmal ausschöpfe. Es ist auch nur in Musik möglich. Und hier eben darum, weil der Musiker im eigenen Spiel für sich selber schaffen kann und damit jenem Quell innerer Musik immer den nötigen Abfluß vermittelt. Darin, daß Mozart, bei dem wir nun ganz genau wissen, daß, was er schuf,sich ihm innerlich vollkommen fertig gestaltete, trotzdem ein so starkes Bedürfnis zum einsamen Klavierspiel besaß, offenbart sich diese Art der Musikernatur ganz deutlich. Er spielte nicht Klavier, um sich für sein Schaffen in Stimmung zu bringen, um die Form zu suchen, den Ausdruck zu finden für das, was er schaffen wollte, sondern dieses stundenlange Klavierspielen – man konnte ihn nur schwer vom Instrument wegbringen, wenn er erst daran war – war gewissermaßen das Ventil für sein mit Musik überfülltes Innere. Aber damit war dann eben das subjektive Bedürfnis gestillt . Danach brauchte er an der Fülle seines Inneren nicht mehr zu ersticken. Danach war er frei ! Frei für jenes überlegene Schaffen des Herrschers, für jenes göttliche Thronen über allem, was Stoff heißt, so daß er nun in jedem Augenblicke das schaffen kann, was für diesen Augenblick für die gegebenen Verhältnisse, seien sie groß oder klein, das Richtige ist. Daß es ihm lieber ist, wenn diese Verhältnisse groß sind, daß es ihm bei seinem unendlichen Reichtum wertvoller ist, wenn er möglichst viel geben, wenn er verschwenden kann, ist selbstverständlich. Aber die Enge bringt ihm keine Not, und die Kleinheit behindert ihn nicht in der Liebe für dieses Werk, nicht an der Vollendung im Kleinen. Es ist an sich nicht weniger vollkommen, was er für ein Musikwerk in einer Uhr geschaffen hat, als wenn er eine Sinfonie in Auftrag bekommt. Dazu fehlt jede Parallele in der Geschichte der Kunst,
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