Mozart - Sein Leben und Schaffen
hier liegt die Einzigartigkeit Mozarts; hier der Grund, weshalb ein Goethe in Mozart die Verkörperung des Genies sah. Wir erleben es sonst immer von Künstlern, daß sie Arbeiten, die ihnen in Auftrag gegeben werden, als Zwang empfinden. Bei Mozart war das nicht der Fall. Ihm war jeder Auftrag erwünschte Gelegenheit, sich zu betätigen. Gewiß kommt es vor, daß eine in Auftrag gegebene Arbeit nicht vorwärtsschreitet, weil sie ihm unbequem ist. Das sind aber immer Unbequemlichkeiten von außen , nicht von innen. Diese Unbequemlichkeiten liegen im Mangel der Mitteilungsmittel oder in der Unschönheit derselben nach Mozarts subjektivem Empfinden. Das ist ein großer Unterschied. Als Nötigung seines Innern hat er einen Auftrag nie empfunden .Beethoven meinte von sich, er hätte einen »Don Juan« nicht komponieren können. Es hat immer Leute gegeben, die Mozart einen Vorwurf daraus machten, daß er Texte wie »Figaros Hochzeit« oder » Cosi fan tutte « komponiert habe, wegen der »Frivolität«, die in ihnen liege. Es ist genau so, als ob man Shakespeare einen Vorwurf daraus machen wollte, daß er einen Richard III., einen Othello mit solcher Liebe gestaltet hat. Als ob die Natur ihre schöpferische Gewalt in der giftigen Schlange nicht genau so wunderbar zu offenbaren vermöchte, wie im herrlichsten Gebilde eines »guten« Geschöpfes. Man bedenke des weitern, welch großartiger Lyriker Shakespeare ist, wenn er für eine seiner Personen, oder sagen wir besser, aus einer seiner Personen heraus ein Lied schaffen kann. Ich-Lyriker ist er nie. Genau so Mozart. Dieser wunderbare Melodienmensch, bei dem sich die größten Musikgebilde liedmäßig gestalten, hat nichts von jenem Bedürfnis Schuberts, der Lied um Lied singt, unbekümmert, ob es verklinge, unbekümmert darum, wer es singt; der eben singen muß, dem das Lied, das aus der Kehle dringt, reichlich Lohn ist; genauer, für den der Lohn darin liegt, daß das Lied ihm aus der Kehle gedrungen ist. Mozarts schönste und volkstümlichste Lieder stehn bezeichnenderweise in seinen Opern. In seinen Instrumentalsachen stehen hundert Stücke, denen sich Liedtexte unterlegen ließen. Eigentliche
Lieder
hat er nur vierunddreißig geschaffen. Sie sind in längeren Zwischenräumen, dann aber meist gruppenweise entstanden. Es bedurfte eben auch hier des äußeren Anstoßes. So entstehen neun der Lieder im Jahre 1787, wo er am meisten im Jacquinschen Hause verkehrte. Für die damalige geistige Kultur ist bezeichnend, daß Mozart, der auf der Höhe der gesellschaftlichen Bildung seiner Zeit stand, der überdies in vielen kleinen Zügen literarischen Geschmack bekundete, nur ein einziges Lied von Goethe komponiert hat; daß die Mehrzahl der übrigen Texte jener vorgoethischen Lyrik angehören, die auf uns Heutige entweder spielerig und albern oder steif und geschmacklos wirkt. Dabei hat Mozart sein ganzes Leben doch als Zeitgenosse Goethes verbringendürfen. Gerade, weil es bei ihm nur eines äußeren Anstoßes bedurfte, um ihn zur Komposition zu veranlassen, betätigen seine Lieder die Tatsache, daß noch Ende der achtziger Jahre die immerhin zwanzigjährige Tätigkeit unserer großen Literaturgenies noch wenig Einfluß auf den literarischen Geschmack gewonnen hatte. Im übrigen spielte in Wien das Lied jetzt überhaupt noch keine große Rolle. Es hatte sich in Nord- und Mitteldeutschland zum guten Teil in engster Verbindung mit dem Singspiel entwickelt. In Wien hat dieses Singspiel ja gleich wieder der italienischen Oper weichen müssen, und so waren hier auch bei der häuslichen Musikunterhaltung italienische Arien und Kanzonetten viel beliebter als deutsche Lieder. Daß übrigens in Norddeutschland das musikalische Lied sich früher entwickelt hatte, dankten wir ja auch weniger den eigenen Kräften als der Tatsache, daß hier die französische Chanson dank dem überwiegenden Kultureinfluß Frankreichs von jeher gesellschaftlich beliebt gewesen war.
Im übrigen wurde Mozart auch bei Liedtexten durch das einzelne Wort und die Formgebung überhaupt nicht leicht gestört, wenn das Gedicht aus einem wirklich dichterischen Untergrunde erwachsen war. Dann versenkte er sich in diesen und ließ aus ihm heraus, genau wie in seinen Opern, ein durchaus wahr empfundenes Gebilde erstehen. Unter Umständen kommt es dann vor, daß die Musik zwar gegen das einzelne Wort verstößt, niemals aber gegen den Sinn des Ganzen. Und darin beruht ihre Wahrheit. So offenbart sich auch in seinen
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