Mozart - Sein Leben und Schaffen
was er da zu leisten imstande war.« Und derselbe Niemetschek berichtet uns: »Auch in seinen Mannesjahren brachte er halbe Nächte am Klavier zu; dies waren eigentlich die Schöpferstunden seiner himmlischen Gesänge. Bei der schweigenden Ruhe der Nacht, wo kein Gegenstand die Sinne fesselt, entglühte seine Einbildungskraft zu der regsten Tätigkeit und entfaltete den ganzen Reichtum der Töne, welchen die Natur in seinen Geist gelegt hatte. Hier war Mozart ganz Empfindung und Wohllaut, hier flossen von seinen Fingern die wunderbarsten Harmonien! Wer Mozart in solchen Stunden hörte, der nur kannte die Tiefe, den ganzen Umfang seines musikalischen Genies: frei und unabhängig von jeder Rücksicht durfte da sein Geist mit kühnem Fluge sich in die höchsten Regionen der Kunst schwingen.« (S. 83.)
Dieses Phantasieren aber war keineswegs etwa Vorbereitungfür das nachherige Schaffen. Mozart hat dauernd die Zeit des Niederschreibens sorgfältig von diesem Phantasieren getrennt und hat bekanntlich bei der Niederschrift niemals das Klavier zuhilfe genommen, sondern schrieb, wie seine Frau sagt: »Noten wie Briefe und probierte einen Satz erst, wenn er vollendet war.« Was Mozart in solchen Improvisationen und Phantasien mitgeteilt hat, das war für ihn Schaffen; das war auch sinnlich lebendig geworden. Nur bringt es die Eigentümlichkeit der Musik mit sich, daß es mit dem einmaligen Spiel, mit diesem einmaligen Geschaffenwerden vorbei war, da die technische Niederschrift, das Aufbewahrungsmittel für künftige Zeiten , fehlte. Man stelle sich vor, daß ein Schallempfänger für Grammophone neben Mozarts Klavier gestanden hätte, – wir besäßen eine unendliche Fülle von Klavierwerken von ihm. Also liegt es lediglich an einem äußeren Umstande, daß wir sie nicht besitzen. Das ist um so betrübender, als wir nun, wenigstens soweit die Klavierkompositionen in Betracht kommen, sicher nicht das Beste dessen haben, was Mozart geschaffen hat. Allenfalls stehen seine Konzerte auf der Höhe, obwohl er auch bei diesen sich ganz genau nach dem Anlaß richtete, bei dem er sie vortrug. Für die meisten anderen Klavierkompositionen aber war dieser äußere Anlaß so, daß er darin mehr Leichtes, Gefälliges geben wollte, als Großes. Gerade weil Mozarts Innenleben von allem Problematischen frei war oder doch dieses sehr leicht zur Harmonie überwand, hatte er nicht gleich einem Beethoven das Bedürfnis, sein innerstes Erleben nun gewissermaßen im Zustande des Kampfes vor uns zu stellen. Die Macht des Anlasses war so bedeutend, daß er auch weitgeführte Kompositionen liegen ließ, wenn er in ihrer Niederschrift irgendwie unterbrochen worden war. Was haben wir an wertvollen Anfängen und auch bereits weit fortgeführten Bruchstücken von Mozart! Und das Merkwürdige: er hat diese herrliche Fülle von Motiven, von Themen keineswegs später verwertet; er hat nicht etwa wie der gewiß auch fruchtbare Händel sich in solchen Bruchstücken gewissermaßen eine Vorratskammer für minder produktive Zeiten angelegt. Sobald er nachher wieder zur Niederschrift kam, war auch das Neueda. Er steckte ja in der Musik! Darin liegt auch die ungeheure Bedeutung der Oper für Mozart, die für ihn nicht nur der großartigste Anlaß zum Musizieren war, sondern auch eine ungeheure Bereicherung der Empfindungswelt bedeutete, weil er hier aus Gefühl und Empfinden anderer Menschen aus Situationen heraus, die er nicht selber erlebt hatte, gestalten konnte. Die Oper war also eine Vergrößerung seiner Schöpferwelt. Darin liegt der Grundunterschied von Wagner, der in der Oper auch sich selbst gab, während Mozart objektiver Weltspiegler ist des außer ihm Stehenden. –
Nach diesen Darlegungen begreift man, daß die Mehrzahl der Werke Mozarts in einem besonderen Sinne Gelegenheitskompositionen sind. Wenn Goethe sein Schaffen als Gelegenheitsdichtung bezeichnete, so verstand er es dahin, daß die dichterische Fähigkeit in ihm gewissermaßen immer wach lag und es nur eines Anstoßes bedurfte, um sie zur Betätigung zu reizen. Dieser Anstoß war bei ihm zumeist persönliches, inneres Erleben. Daher Goethe vor allem Lyriker ist. Auch Mozart steckte immer in der Musik. Er war immer schöpfungsfähig und immer schaffensbereit. Aber Mozart ist vor allem Dramatiker . Ich halte ihn für die dramatischeste Natur unter allen deutschen Künstlern. Darum war er auch in diesem außerordentlichen Maße Gesellschaftsmensch . Wenn er einen Kreis von Menschen um sich
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