Mozart - Sein Leben und Schaffen
Bedeutung, daß wir nur einen Bruchteil seines inneren Schaffens erhalten haben. Das ist nun wohl bei jedem großen Künstler der Fall; aber doch bei keinem von denen, die überhaupt Könner waren, in solchem Maße wie bei Mozart, trotzdem ihm die Formgebung in unvergleichlicher Weise leicht war; oder auch gerade deshalb. Dieses vollständige Fertigmachen seiner Werke im Innern, so daß sie für ihn fortan nicht mehr in jenem mehr chaotischen Zustande des stets in Bewegung sich befindenden Planes, sondern bereits geformt waren, brachte es notwendigerweise mit sich, daß für ihn selber die Niederschrift dieser Werke überflüssig war. Und je fruchtbarer sein Genie war, je ununterbrochener er Neues schuf, um so mehr mußte es ihm geradezu eine Qual bedeuten, wenn er durch die doch letzterdings handwerksmäßige Niederschriftvon Werken für viele Stunden in Anspruch genommen wurde, wo es eigentlich seinen Geist innerlich zu neuem Schaffen drängte. Ohne die außerordentlich strenge Erziehung seines Vaters, der dafür gesorgt hat, daß auch die sichtbare, technische Arbeit seinem Sohne zum eisernen Hemde der Gewohnheit geworden war, würden wir an Mozart wahrscheinlich ein Ähnliches erlebt haben, wie an Lionardo da Vinci, bei dem vor lauter Produktivität die vollkommene Ausgestaltung des innerlich Erschauten fast nie zustande gekommen ist. Aber in abgeschwächter Form findet sich auch bei Mozart das Seitenstück zu diesem Falle: Mozart bedarf des äußeren Anlasses, der Anregung von außen zur Niederschrift seiner Werke .
Man könnte einwerfen, daß im Wesen des künstlerischen Genies auch der Zwang zur sozialen Mitteilung liege; daß dieser Zwang, der Welt mitzuteilen , was innerlich geschaffen ist, schließlich gerade den Unterschied des wahrhaften Künstlers vom bloßen Phantasiemenschen ausmache. Denn geschaffen ist am Ende doch nur das, was wir von uns losgelöst haben; Schaffen heißt lebendige Werte erzeugen, beim Künstler Werke, die durch sich leben, also außerhalb von ihm stehen müssen. Gewiß! aber Mozart hat ja auch der Welt alles mitgeteilt, er hat ja alles aus sich heraus projiziert, von sich losgetrennt, was er geschaffen hat. Bloß ist nicht alles niedergeschrieben . Hier zeigt sich wieder einmal die Eigenstellung der Musik; hier erklärt sich uns die wunderbare Wirkung der Mozartischen Improvisation . Die Zeitgenossen sind sich alle einig darüber, daß sein Improvisieren einen Gipfel dessen bedeutete, was die Welt in Musik erleben kann. Da haben wir den Bericht des Chormeisters Ambros Riedel, der noch als Achtzigjähriger (1851) in seinen »Erinnerungen« davon schwärmt, daß er als Jüngling Mozart phantasieren gehört habe. »Den kühnen Flug seiner Phantasie bis zu den höchsten Regionen und wieder in die Tiefen des Abgrunds konnte auch der erfahrenste Meister in der Musik nicht genug bewundern und anstaunen. Noch jetzt höre ich diese himmlischen, unermeßlichen Harmonien in mir ertönen und gehe mit der vollsten Überzeugung zu Grabe, daß es nur einen Mozart gegeben hat.« Überdas Konzert, das Mozart im Januar 1787 in Prag gab, berichtet Stiepanek: »Zum Schluß der Akademie phantasierte Mozart auf dem Pianoforte eine gute halbe Stunde und steigerte dadurch den Enthusiasmus der entzückten Böhmen aufs höchste, so daß er durch den stürmischen Beifall, welchen man ihm zollte, sich gezwungen sah, nochmals an das Klavier sich zu setzen. Der Strom dieser neuen Phantasie wirkte noch gewaltiger und hatte zur Folge, daß er von den entbrannten Zuhörern zum drittenmal bestürmt wurde. Mozart erschien, und innige Zufriedenheit über die allgemeine enthusiastische Anerkennung seiner Kunstleistungen strahlte aus seinem Antlitz. Er begann zum drittenmal mit gesteigerter Begeisterung, leistete, was noch nie gehört worden war, als auf einmal aus der herrschenden Todesstille eine laute Stimme im Parterre rief: Aus Figaro! worauf Mozart in das Motiv der Lieblingsarie Non più andrai einleitete, ein Dutzend der interessantesten und künstlichsten Variationen aus dem Stegreif hören ließ und unter dem rauschendsten Jubel diese merkwürdige Produktion endigte.« (Nissen S. 517.) Und Niemetschek, der so tief in Mozarts Wesen eingedrungen ist wie wenige seiner späteren Biographen, sagte als Greis zu Alois Fuchs: »Dürfte ich mir noch eine Erdenfreude von Gott erbitten, so wäre es die, Mozart noch einmal auf dem Klavier phantasieren zu hören; wer ihn nicht gehört, hat nicht die entfernteste Ahnung,
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