Mozart - Sein Leben und Schaffen
vermehrt, daß es von da ab dauernd unmöglich war, daß sich Mozart hier jemals wieder wohl fühlen konnte. Wenn ihn also ein Jahr, nachdem er zum erstenmal den Austritt aus dem verhaßten Dienste gewagt hatte, der Mißerfolg seiner Bemühungen um eine Lebensstellung und doch wohl vor allem die Rücksicht auf den Vater zwangen, wieder in Salzburger Dienste zu treten, so dürfen wir darin sicher die tragischste Seite des äußeren Lebensganges Mozarts sehen. Denn es ist klar, daß zum zweitenmal die Befreiung noch viel schwerer fallen mußte, als das erstemal.
Es muß sich demgegenüber doch die Frage erheben, ob es denn für Mozart wirklich nicht möglich war, in Salzburg zu leben und zu schaffen?
Das Wort Heimatkunst ist uns heute ein geläufiger Begriff geworden, und wenn er bezeichnenderweise aus großstädtischen Kreisen heraus zum modischen Schlagworte geprägt worden ist, so gibt es doch wohl keinen ernsten kunstverständigen Mann, der bestreiten möchte, daß kleinere Orte, vor allem wenn sie in einer so wunderbaren Natur gelegen sind wie Salzburg, für das künstlerische Schaffen eher förderndsind denn hemmend. Man könnte behaupten, daß Mozart in seinem bisherigen Lebensgange so viel in die Welt hinausgedrungen war, sich aus den Kunstzentren der verschiedenen Länder so viele Anregungen geholt hatte, daß er jetzt in Salzburg an stiller Stätte, die gleichwohl noch keine Einsamkeit bedeutete, sich eigentlich besonders glücklich hätte entfalten müssen. Es ist auch zweifellos ganz sicher, daß die Ruhejahre in Salzburg für Mozarts künstlerische Entwicklung von Segen gewesen sind. Es war ein Glück für den unbegreiflich schnell der höchsten Künstlerschaft entgegenreifenden Menschen, bei dem es immer nur des leisesten Anstoßes von außen bedurfte, um in ihm eine gegen die schon gewöhnlich überreiche Tätigkeit noch gesteigerte Produktion anzuregen, daß er für Zeiten immer wieder an einen Ort zurückkehrte, an dem die äußere Anregung fehlte. Es war zweifellos ein Glück, wenn hier etwas gebremst wurde. Aber das ist auch das einzige, was man in künstlerischer Hinsicht bei Mozart für diesen Salzburger Aufenthalt geltend machen kann. Wir müssen auch hier bedenken, daß es sich um eine ganz andere Zeit handelt, daß die gesamten
kulturellen Vorbedingungen für das musikalische Schaffen
andere waren als heute.
Die Musik bedarf mehr denn jede andere Kunst des Reproduziertwerdens. Sie wird ja doch erst dadurch lebendig, daß sie zum Tönen gebracht wird. Der schöpferische Musiker leidet darum auch mehr als jeder andere Künstler, wenn es ihm nicht gelingt, seine Werke zu hören. Bei kleineren Musikformen vermag er sich ja selber diese Umsetzung des Geschaffenen in das wirkliche Leben des Tones zu verschaffen. Bei größeren Werken ist ihm das nicht möglich. Ohne diese Mitteilung durch die Aufführung aber kann der Musiker von der Umwelt die Rückantwort und befruchtende Rückwirkung nicht erhalten, die dem Dichter und dem bildenden Künstler durch die Genießenden auch dann zuteil wird, wenn ihm die Wirkung auf die breiteste große Öffentlichkeit versagt bleibt. Die nicht aufgeführte Oper z. B. ist ein totes Werk; das nicht aufgeführte Drama kanndurch die bloße Lektüre auf weite Kreise stark und nachhaltig wirken es kann in seiner vollen Kraft erfaßt werden; sein Schöpfer kann darum auch die rückwirkende Kraft dieser Wirkung seines Kunstwerkes an sich selbst erfahren.
Die Musik nimmt also gegenüber den anderen Künsten an sich schon eine besondere Stellung ein, indem sie zur Verlebendigung der Mitteilung an die Öffentlichkeit bedarf. Wichtiger für eine richtige Beurteilung der Lage aber ist noch, daß auch innerhalb der Musik ein großer Wandel eingetreten ist, infolge dessen heute der Komponist zur Umwelt in einem anderen Verhältnis steht als früher, als eben noch zur Zeit Mozarts.
Die Grenze bildet hier Beethoven . Es ist gewiß eine merkwürdige Fügung, daß für die Musik, für die Kunst des Klanges, der nur durch das Gehör sinnlich voll erfaßt wird, die bedeutsamste innere Entwicklung dadurch hervorgerufen wurde, daß ein großer Musiker taub wurde. Das hat Richard Wagner gefühlt, als er von Beethoven sagte: »Dem erblindeten Seher, dem Teiresias, dem die Welt der Erscheinung sich verschlossen und der dafür mit den inneren Augen den Grund aller Erscheinungen gewahrt – ihm gleicht jetzt der ertäubte Musiker, der, ungestört vom Geräusche des Lebens, nun einzig noch
Weitere Kostenlose Bücher