Mozart - Sein Leben und Schaffen
entdecken. Diese Spekulationen haben sich keineswegs bloß auf den Orient oder auf das alte Ägypten beschränkt; ein Keppler hat hier recht tiefsinnige Gedankenreihen aufgestellt. Seither hat es niemals an Versuchen gefehlt, die Theorie der musikalischen Form irgendwie ins Mathematische zu übersetzen. Und die neuesten Untersuchungen über die Musik der Naturvölker haben ja wiederum ergeben, daß wenigstens die Tonverhältnisse und Tonabstände dieser Naturtonleitern sich auf merkwürdig einfache mathematische Formen zurückführen lassen. Gerade bei Mozart denken wir dieser Zusammenhänge, da er selber zu den zahlreichen Musikern gehört, die sich mit Mathematik besonders gern befaßten und mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit ihr anhing. Es ist gerade bei der einzigartigen musikalischen Veranlagung Mozarts eine psychologisch nicht zu unterschätzende Tatsache, daß das KindMozart mit derselben Leidenschaftlichkeit, mit der es alles Musikalische aufnahm, auch Tische, Wände und Fußböden mit Rechnungen bedeckte, als es in die Mathematik eingeführt wurde.
Die Parallele: sinnliche, wir möchten lieber sagen: die Sinne reizende Musik in der Praxis – mathematische oder physikalische Berechnung in der Theorie haben wir im Grunde auch bei den Griechen, bei denen die Musik überhaupt erst anfängt eine Kunst zu werden. Die Musik ist bei den Griechen nur ein Hilfsmittel der Sprache gewesen, Deklamationsmittel im höchsten Sinne als scharfe Rhythmisierung und Tonfixierung des Wortes. Daneben hat aber von früh ab die sinnliche Musik des Orients eingewirkt. Als mit Euripides das musikalische Virtuosentum im Drama mächtiger wurde, war auch für die griechische Kultur die orientalische Auffassung der Musik siegreich geworden. Ein nur auf grobe sinnliche Wirkung bedachtes Virtuosentum wurde allherrschend. Rom, vor allem das der Kaiserzeit, verschaffte sich die Mittel seiner musikalischen Unterhaltung dann ganz unverschleiert in derselben sinnlichen Weise, wie es die Despoten des Orients gewöhnt gewesen waren. Wir können zusammenfassen: für den Orient und in der Praxis auch für das klassische Altertum haben wir in der Musik die Herrschaft des Tons an sich; die Musik ist im wesentlichen körperlich sinnliche Kunst.
Der Kampf des Seelischen mit dem körperlich Sinnlichen in der Musik beginnt mit dem jungen Christentum. Das Instrumentale, das in der späteren griechischen Musik das Übergewicht errungen hatte, wird völlig verbannt. Der Gesang dient dazu, auszusprechen, was die Seele übermächtig erfüllt, und wenn schließlich Worte dazu nicht mehr ausreichen, so künden begeisterte Tonfolgen von den Jubelgefühlen der begeisterten Seele. Diese Erklärung, die der heilige Augustinus für den »Jubilus« des Chorals gibt, ist für die psychologische Einschätzung der Bedeutung der Musik in dieser Zeit viel wichtiger und richtiger als etwa der historische Nachweis, daß diese Tonanhäufungen vielleicht nur daher rühren, daß der neue einer alten Melodie untergelegte Text viel kürzer war, als die Melodie, und deshalb der ganze Rest der letzteren auf eine einzige Note zusammengehäuftwurde. Solange das junge Christentum einen Gegensatz bildete zur herrschenden Weltanschauung, so lange bedeutete es auch den Kampf des seelischen Lebens des einzelnen Individuums gegenüber der dogmatisch erstarrten Weltanschauung der Masse. Solange aber der einzelne sich im Gegensatz zu dieser Masse fühlen muß, so lange bedeutete auch bei ihm die Zugehörigkeit zur Minorität ein persönliches Bewußtsein des seelischen Lebens. Ebensolange pflegt dann die persönliche Freiheit des seelischen Empfindens betont zu werden; ebensolange erfährt diese uneinschränkbare, weil ganz innen sich vollziehende Betonung des seelischen Lebens Förderung und Anregung. Sobald aber diese Weltanschauung zur Herrschaft gelangt, sobald es damit notwendig wird, sie auf lehrhafte und mit dem Verstande faßbare Formen zu bringen, erstarrt das seelische Leben; oder genauer: auch dieses seelische Leben wird auf Formen gebracht, erhält einen bestimmten Charakter. Soweit das seelische Leben innerlich bleibt, wird es natürlich nicht diese Uniformierung erfahren; wohl aber in seiner Art sich auszudrücken. Für die ältere christliche Kirchenmusik ist bezeugt, daß bei den Versammlungen der Gläubigen plötzlich einer vortrat und, vom heiligen Geiste seines aufgeregten, hochgesteigerten Empfindens angetrieben, neue Hymnen sang. Die Musik war also in diesen
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