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Mozart - Sein Leben und Schaffen

Mozart - Sein Leben und Schaffen

Titel: Mozart - Sein Leben und Schaffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Storck
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Zeiten Improvisation im höchsten Sinne des Wortes. Es dauerte nicht lange, da wurde dem Volke verboten, in der Kirche zu singen; der Gesang wurde auf wenige beschränkt, die dazu bestimmt und vorgebildet waren. Die Gesänge hatten ihre genaue Ausbildung und Aufzeichnung erfahren. Der gregorianische Choral ist in gewissem Sinne die Dogmatisierung des frühchristlichen Religionsgesangs.
    Es ist aus der Geschichte der Musik bekannt, wie dieser Choral überallhin verbreitet wurde, wohin die christliche Lehre gelangte. Während für Italien und auch für Griechenland Verbindungslinien vorhanden waren zwischen dem, was jetzt als Musik galt, und dem, was von der Vergangenheit her sich als Musik entwickelt hatte, wurde den nordischen Völkern, den Germanen zumal, mit dem Choral etwas gebracht, was in keinerlei Zusammenhang stand mit dem, wasfrüher bei ihnen als Musik gegolten hatte. Sobald die Einführung dieses kirchlichen Gesangs vollzogen ist, beginnt die Neuherrschaft der Sinnlichkeit in der Musik. Das Seelische erstarrt, das Sinnliche gewinnt von neuem darüber die Übermacht. Eine höhere Sinnlichkeit als früher, die Sinnlichkeit der schönen Form . Es war die Sinnlichkeit, die die Einstimmigkeit als dünn empfand, nach volleren Klängen verlangte. So entwickelt sich in dieser zweiten Periode des musikalischen Mittelalters die kontrapunktische Polyphonie. Es ist eine Sinnlichkeit der formalen Kultur, die aufs höchste ausgebildet wurde, sich dabei genau so mit einer Wissenschaftlichkeit, mit einer gelehrten Spekulation in seltsamen Formenbildungen (Rätselkanons und dergleichen) verband, wie auf niedrigerer Stufe früher bei den asiatischen Kulturvölkern. Jedenfalls schloß diese kontrapunktische Polyphonie streng genommen die Aussprache eines individuellen seelischen Fühlens, eine eigentlich persönliche Kunst aus.
    Es muß freilich hervorgehoben werden – und das wirkt als Parallelerscheinung zu Mozart am Ende des nächsten Zeitraums –, daß auch jetzt Musiker erstanden, die in der Beherrschung der kontrapunktischen Form eine so hohe Stufe erreichten, daß die Form ihnen zur natürlichen Sprache wurde, in der sie dann ihr Empfinden zu künden vermochten. Voraussetzung dafür war, daß dieses Empfinden keine eigentlich neuen Werte in die Welt trug, daß es höchstenfalls die vorhandenen in der feinsten Abklärung zeigte. Ich denke hier an Palästrina oder Orlando di Lasso. Schon daß zwei voneinander so grundverschiedene Charaktere als Gipfelpunkte in derselben formalen Kunst der gleichen Zeit stehen können, bezeugt, daß das Seelische auch auf diesem Wege wieder zur Herrschaft gelangen konnte. In noch unendlich höherem Maße hat die Verbindung und den Ausdruck eines ganz subjektiven Empfindungsgehalts in den geschlossenen Formen der Kontrapunktik erreicht Joh. Seb. Bach. Allerdings verfügte er dabei über reichere Ausdrucksmittel als die zuvor genannten; das Instrumentale war hinzugekommen. Übrigens ist es sehr lehrreich, daß erst die Neuzeit in Bachs Musik das Subjektive fühlt; seine Zeitgenossen, auf die er vielleicht gerade seiner Subjektivität wegenweniger stark wirkte als zahlreiche andere, sahen in seiner Kunst zumeist die Beherrschung der Form.
    Immer wenn es einem einzelnen gelingt, über entgegenstehende Vorbedingungen Herr zu werden, wenn er erreicht, in alten Formen neues Leben auszudrücken, darf man sicher sein, daß diese Seite seines künstlerischen Vermögens erst von einer späteren Zeit erkannt wird, daß dagegen seine Zeitgenossen nur die Beherrschung des Formalen erkennen. Die spätere Zeit fühlt, daß in der Musik des betreffenden Künstlers trotz der alten Form bereits der neue Geist lebt. Wir gewinnen also zu diesen wenigen Künstlern ein Verhältnis wegen dieses geistigen Gehalts und vermögen mit Hilfe desselben das Widerstrebende in der herkömmlichen Form zu überwinden. Die Zeitgenossen hielten sich natürlich an das ihnen Bekannte in der betreffenden Kunst; das neue Geistige in derselben hat sie immer eher abgestoßen. Denn wenn sie auch das neue Geistige nicht deutlich zu erkennen und zu empfinden vermochten, spürten sie doch das Vorhandensein eines ihnen nicht völlig aufgehenden Wertes. So erklärt es sich, daß Joh. Seb. Bach wie auch Mozart bei ihren Zeitgenossen mit ihren Kompositionen nicht in derselben Weise durchzudringen vermochten wie andere, die nur tüchtige Formkünstler waren, was doch auch Bach und Mozart niemals bestritten wurde. Umgekehrt sind für uns

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