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Mozart - Sein Leben und Schaffen

Mozart - Sein Leben und Schaffen

Titel: Mozart - Sein Leben und Schaffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Storck
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ebenso dem gesamten geistigen Streben wie den sozialen Verhältnissen, die es mit sich brachten, daß jene Schichten der menschlichen Gesellschaft, denen die tiefsten seelischen Lebenskämpfe fernzubleiben pflegen, deren ganze Erziehung auf eine Kultur formaler Lebenskunst gerichtet ist und als höchstes Ziel leichten Lebensgenuß erkennt, die hauptsächlichen Brotgeber und Konsumenten der Musik waren. Es gehört das Zeitalter des Despotismus zu dieser Musik, ein Zeitalter auch der sehr äußerlich und schwach gewordenen Religiosität, ein Zeitalter endlich einer geistigen Versumpfung der breiten durch die langen Kriegszeiten erschöpften Volksmassen, die in einem ganz grob materialistischen Lebensgenüsse ihr Heil erblickten.
    Wenn aber so der stimmliche und der instrumentale Effekt alsdas Musikalische erscheint, ergibt sich notwendigerweise das Verhältnis, daß der Komponist für diese beiden Faktoren schreibt, daß sein gesamtes Schaffen dadurch die Richtung erhält, daß er an die Wirkungen denkt, die Stimme und Instrumente mit seiner Musik machen können. Also die Komponisten schaffen für die Virtuosen. Wenn ich einen Gedanken aus dem einleitenden Abschnitt dieses Buches nochmals aufnehmen darf, so bedeutet das, daß die Musik hier nicht mehr aus der Idee heraus gestaltet wird, sondern aus einem Abbilde der Idee. Wenn das wahr ist, so begibt sich im gleichen Augenblick die Musik ihres tiefsten und bedeutsamsten Sonderrechtes. In solchen Zeiten ist für die Vorstellung des Komponisten das Instrument, wozu auch die Singstimme zu rechnen ist, als erstes da; die musikalische Schöpfung tritt erst hinzu. Das Instrument gebietet und verlangt etwas, worin es mit seinen Fähigkeiten glänzen kann; das Instrument ist also Selbstzweck . Es sollte aber nur Mittel zu einem Zwecke sein. Es sollte nur dazu da sein, um etwas auszudrücken, um etwas, was fern von aller irdischen Gestaltung, fern von dem sinnlich zum Bilde Gewordenen erfühlt oder erschaut wurde, zum Ausdruck zu bringen.
    Hier liegt der trennende Punkt für alle Zeiten zwischen Beethoven und allem, was vor ihm liegt. Kleine Aussprüche, die zumeist als Anekdoten gebracht werden, gewähren hier tiefdringende Einblicke. Als Schuppanzigh sich bei Beethoven beschwerte, daß die und die Stelle in einem Quartett nicht auszuführen sei, entgegnete er ihm: »Glaubt er denn, daß ich an seine jämmerliche Geige denke, wenn ich komponiere?« Die Singstimmen in Beethovens Chorwerken sind ohne jede Rücksicht auf ihre Naturverhältnisse verwendet. Man erkennt aus allem ganz deutlich: für Beethoven ist die Musik etwas rein in sich Bestehendes, das gar nicht mit Instrumenten oder Stimmen oder dergleichen zusammenhängt. Man könnte sagen, daß wie der Bildhauer einen Haufen Ton vor sich hat, so Beethoven einen Haufen von Notenköpfen. Und wie der Bildhauer nun in diese Tonmasse hineingreift und mit diesem Material das Bild zusammenknetet, das vor seinem Geiste erschienen ist, so faßt Beethovenin diese Masse von Noten hinein und verwendet diese als Schriftzeichen, das festzuhalten, was er in sich klingen hört. So entsteht das Tonwerk bei Beethoven, wie es nachher ausgeführt werden kann, wie es nachher für die Welt zum Klingen werden kann, kommt erst in zweiter Reihe.
    So stellt sich natürlich das Verhältnis nur für die schroffste Fassung des Grundsätzlichen dar. Denn da nun einmal ein Kunstwerk, um für die Menschheit lebendig zu werden, Gestalt bekommen muß, ist es den Möglichkeiten des Ausdrucks unterworfen; ein musikalisches Kunstwerk wird nur wirksam, wenn die Stimme oder Instrumente es dem Gehör vermitteln können. Darin liegt schließlich der Unterschied zwischen dem Künstler und dem nur phantasievollen Menschen, der mit jenem die innere Fähigkeit der Produktivität teilt, daß der Künstler das seelisch Produzierte zur Erscheinungsform zu gestalten vermag, der andere nicht. Aber wenn sich nun auch so die verschiedenen Richtungen in der Wirklichkeit viel näher stehen als in der Theorie, so offenbart sich doch die grundsätzliche Verschiedenheit schlagend genug. Es sind natürlich mehr einzelne Züge, die das offenbaren. Mozart sieht, wenn er eine Arie schreibt, den Sänger dieser Arie vor sich. Er will haben, daß diesem Sänger die Arie »so passe wie ein gut gearbeitetes Kleid«; infolgedessen ändert er an der Arie so lange, bis sie dem Sänger wirklich wie angegossen sitzt. Beethoven ändert nicht. Beethoven würde lügen, wenn er änderte. Er erlebt

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