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Mozart - Sein Leben und Schaffen

Mozart - Sein Leben und Schaffen

Titel: Mozart - Sein Leben und Schaffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Storck
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Spätere diese alten Formen nur in der Kunst der wenigen Meister, die sie mit neuem Leben zu erfüllen vermochten, genießbar.
    Bach bildet ja offenbar in der Hinsicht den höchsten Gipfel aller Zeiten, weil er ganz deutlich nicht nur die geistige, sondern auch die formale Kunst zweier völlig getrennter Zeitalter in sich vereinigt. Nicht so auffällig tritt bei Palästrina und Mozart zutage, daß zu ihrer Schaffenszeit bei unbestrittener Herrschaft alter Formen bereits der neue Geist in stärkster Lebendigkeit dastand. Und je mehr sich unsere Kunstgeschichte daran gewöhnt, immer nur aus der Entwicklungsgeschichte einer Kunst heraus die in ihr tätigen künstlerischen Persönlichkeiten erklären zu wollen, um so weniger wird es gelingen, diese tieferen Zusammenhänge zu spüren. Aber wenn wir bedenken, daß zu Palästrinas Zeit die Bewegung der Renaissance ihren Gipfel schon überstiegenhatte, daß also das Herrenrecht des Individuums gegenüber der Masse bereits in das Empfindungsleben der Zeit eingedrungen war, so kann es uns nicht überraschen, wenn nun auch bei jenen Musikern, die an den alten Formen festhielten, das persönliche seelische Leben stärker nach Aussprache verlangte; daß für sie die Form, die vorher Selbstzweck gewesen war, nur noch Mittel zum Zweck war; daß sie also mit den gleichen Mitteln Ausdrucksmusiker wurden, mit denen die vorangehenden nur formale Künstler gewesen waren. – Ähnlich liegt der Fall später bei Mozart . Bedenken wir doch, daß der »Sturm und Drang« in unserer Literatur bereits die Gemüter des deutschen Volkes aufgewühlt hatte, als er in das Alter kam, in dem das persönliche Denken und Empfinden nach Aussprache verlangte. Es ist dabei keineswegs entscheidend, ob Mozart nun die betreffenden Werke unserer großen Dichter gekannt oder gar von der Bühne her erlebt hat, obwohl es sehr wahrscheinlich ist. Aber wir müssen bedenken, daß Goethes »Götz« 1773, sein »Werther« 1774 erschienen sind, daß Schillers »Räuber« der Zeit nach mit der »Entführung aus dem Serail« zusammenfallen (1781), daß bevor »Figaros Hochzeit«, in der die Zeitgenossen den frischen Morgenwind der Revolutionsstimmung mehr spürten als wir Heutigen, auf die Bretter kam (1785), Schillers »Kabale und Liebe« in feuriger Sturmgewalt gegen denselben Weibermißbrauch des Adels gewettert hatte. Die Stimmungen, aus denen wenige Jahre später die französische Revolution herauswuchs, lebten auch schon in dem vorangehenden Geschlechte Deutschlands. Man braucht nur in Mozarts Briefen zu lesen, wieviel Erbitterung und scharf spottende Kritik gegenüber jenen sozialen Verhältnissen wetterleuchtet, die noch sein doch viel spöttischer und schärfer angelegter Vater stillschweigend als etwas Unabänderliches hinnahm.
    Aus alledem ergibt sich, daß bei Mozart in den ihm überkommenen und aufs höchste gesteigerten Formen viel von jenen geistigen und seelischen Kämpfen lebte, die später bei Beethoven, als sie zum kunstgestaltenden Prinzip erhoben wurden, eine völlige Umwälzung der Musik nach sich zogen. Hier liegt dann der Grund,weshalb wir diese Werke Mozarts nicht nur in ihrer sinnlichen Schönheit oder in ihrer wunderbaren formalen Bildung bewundern können, sondern sie auch zu erleben vermögen, was uns bei der doch oft aufs höchste gesteigerten formalen und sinnlichen Kunst der gleichzeitig oder unmittelbar vorangehenden italienischen Oper nicht gelingt. Das letztere beruht allerdings vor allem darauf, daß hier die Selbstherrlichkeit der Form auch über das allgemein menschliche Empfinden gesiegt hatte. Diese Linie der Entwicklung haben wir noch zu verfolgen.
    Die um 1600 zustande gekommene Erfindung des damals mit dem Worte »neu« charakterisierten Stils der begleiteten Einstimmigkeit hatte dem seelischen und geistigen Gehalt der Dichtung das Übergewicht über die musikalische Einkleidung gebracht. Das geschah auf dem Wege der Unterdrückung der Musik, wie die systematisch angestrebte Nüchternheit und Trockenheit der ersten Opernmusiken bezeugt, bei denen man nicht aus Unvermögen, sondern aus Überzeugung die wohlbekannten sinnlichen Wirkungen der Musik verschmähte, um dem Ausdruck des Geistigen und Seelischen, den man allein durch die Dichtung geben zu können überzeugt war, das Übergewicht zu verschaffen. Es dauerte aber nur wenige Jahre, – d. h. für uns Heutige kommen bei der historischen Betrachtung einige Jahre heraus, das will aber im Grunde bedeuten, daß man es eigentlich

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