Mozart - Sein Leben und Schaffen
sofort empfand – bis man erkannte, daß auch die Musik als solche vollauf imstande sei, dieses Seelische auszudrücken. Darin liegt der ungeheure Fortschritt der Oper des genialen Claudio Monteverdi, dessen Tätigkeit 1607 einsetzt, gegenüber den um 1600 entstandenen Werken von Peri und Caccini.
Aber noch viel schneller als in der frühchristlichen Periode wurde jetzt das Seelische wieder durch die sinnliche Macht der Musik zurückgedrängt. Der letzte und innerste Grund dafür liegt ja zweifellos dann, daß das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts die grobsinnlichste Zeit der christlichen Zeitrechnung gewesen sind, daß niemals alles Geistige so sehr eigentlich nur frivoles Spiel war, nie wieder die Entfesselung des Tierischen im Menschen so scheulos alsLebenszweck verkündet und mit den Künsten gefeiert wurde wie in dieser Periode, als das wilde, kraftprotzende Barock seine Gelüste in den spielerigen Formen des Rokoko zu verkleiden lernte. Bei dieser Gesamtstimmung der Zeit konnte sich ein starkes seelisches Leben eigentlich nur in so abgelegenen deutschen Waldwinkeln entwickeln, wie einer die Heimat unseres Joh. Seb. Bach war. Vereinzelt steht auch die Hünennatur eines Händel, der, als ihn die im Übermaß genossene Welt zu ekeln begann, noch die Frische besaß, aus den ungenützten Kräften der Heimat sich einen Jungbrunnen seines seelischen Empfindens zu schaffen. Im übrigen lagen auch in der Musik selbst die Gründe, die diese Entwicklung zur Sinnlichkeit begünstigten. Hatte man doch gerade ein ganz neues Gebiet musikalischer Betätigung entdeckt, das zur ausgiebigen Bebauung reizte.
Über der hohen Kunst der Bewegung einer Vielheit von Stimmen, die die Kontrapunktik ausgebildet hatte, war völlig übersehen worden, zu welch wunderbarer Kunstfertigkeit die besonders begnadete Einzelstimme zu steigern war. Es ist sehr bezeichnend, daß gerade der kunstvolle Einzelgesang zum beherrschenden Element für die Hauptentwicklung der Musik in der nächsten Zeit geworden ist, daß diese Einzelstimme in der sieghaften italienischen Oper unbeschränkt herrschte. Noch mehr Neuland, als die Wirkung des schönen oder auch nur kunstfertigen Gesangs, war die Ausnutzung der Instrumente. Jetzt erst beginnt die Ausbildung einer eigentlichen Instrumentalmusik, und wiederum zeigt sich auch da der doppelte Gang: einerseits die Entwicklung der Fähigkeiten eines Instruments, also instrumentale Virtuosität, andererseits das Zusammenwirken der verschiedenen Instrumentalstimmen bis zur größten Form des Orchesters. Wir wollen bedenken, daß ein wirklich großer instrumentaler Orchesterstil eigentlich erst in der Kindheit Mozarts entwickelt wurde, daß auf ihn die Leistungen der Mannheimer Kapelle fast als Offenbarungen wirkten.
Es ist nur zu leicht erklärlich, daß in einer Periode, in der man so überraschende und doch auch wirklich das gesamte künstlerische Leben bereichernde Entdeckungen machte, das Gefühl dafür verloren ging, daß diese doch nur auf dem Gebiet des Technischen in derMusik lagen; daß man dabei völlig vergaß, was um l600 so laut verkündet worden war, daß alle diese musikalische Technik nur ein Mittel zum Zweck sei, nur dazu diene, ein tiefes seelisches Leben auszudrücken. Denn, von allem anderen abgesehen, verbarg sich ja so leicht dem Blicke, wie das alles im Grunde Technik war. Diese Technik selber war noch neuartig, ihre Beherrschung erheischte nicht nur eine hohe Verstandestätigkeit, sondern verschaffte auch so starke Empfindungseindrücke, daß es leicht erklärlich ist, wenn den meisten diese Kunst nach jeder Richtung hin vollauf genügte. So verdichtete sich die ganze Bewegung zu einem Ausarbeiten der sinnlichen Fähigkeiten der Musik, und darin liegt von vornherein eine ungeheure Macht der Wirkung. Sie wurde aber noch dadurch gesteigert, daß es sich jetzt um eine hoch verfeinerte Sinnlichkeit handelte, eine Sinnlichkeit, die nicht mehr so brutal auf körperliche Wirkung ausging wie etwa die der orientalischen Musik, die aber auch nicht so einseitig Ergötzung des für formale Kultur empfänglichen Verstandes war wie die mittelalterliche Kontrapunktik, sondern die diese beiden Elemente in feinster Art verband, indem einerseits der Wohllaut des Tons, andererseits die höchste formale Vollkommenheit in der kunstfertigen Verwendung desselben angestrebt wurden. Diese Ziele waren in der Kunstentwicklung noch ganz unausgenutzt, besaßen den vollen Reiz des Neuen. Sie entsprachen auch
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