Mozart - Sein Leben und Schaffen
den Gipfel erkennen kann. Auf unsern Fall übertragen heißt das: Künstler wie Raffael oder Mozart können nicht frühzeitig als neuartige Erscheinungen, als Bringer neuer Werte dastehen, weil sie die Sammler und Vollender des Vorhandenen sind. Daß sie aber für dieses Vorhandene den Gipfel bedeuten, zeigt erst ihr großes Lebenswerk, die Arbeit ihrer Meisterschaft. Das Schaffen derartiger Künstler muß dann etwas in sich tragen, wodurch es, trotzdem es von dem der andern nicht im Wesen verschieden erscheint, doch eigenartig, doch einzig ist; genau wie der Gipfel der Pyramide einzig ist gegenüber allen anderen Stellen des Riesenbaues.
Erst bei der innigen Beschäftigung mit den Werken eines solchen Künstlers erfühlt man genauer dieses Persönliche in ihnen. So haben wir auch in der Musik den Begriff »mozartisch«. Das ist einer von jenen künstlerischen Lebenswerten, die unbedingt sicher empfunden werden, sich aber gar nicht beschreiben und analisieren lassen. Fast nichts davon steckt in der Form der Aussprache , obwohl man deutlich spürt, wie das Überkommene gesteigert und leicht verändert ist, obwohl man sicher empfindet, daß die Form reiner, harmonischer, eben schöner geworden ist, als sie vorher war. Das Maßwerk im ganzen ist dabei kaum verändert. Alles, was sich bei Formen verstandesmäßig festhalten läßt, ist gleichgeblieben. Es ist das innere Erleben dieser Form – bei der bildenden Kunst nennt man es wohl die Stimmung, die über dem Ganzen liegt –, wodurch diese Erhöhung auch des Formalen bewirkt ist. Dieses verstandesmäßig nicht scharf definierbare Kriterium des Mozartischen ist im Grunde fast das einzige, nach dem wir die innere künstlerische Entwicklung Mozarts selber verfolgen können. Mit den Mitteln des Kunstverstandes, die bei der Musik noch etwas beschränkter sind als bei anderen Künsten, kommen wir bei Mozart von allen großen Musikern am wenigsten weit, weil das Problem der Form dadurch bei ihm so eigenartig ist, daß es von allem Problematischen freibleibt. Das klingt paradox, ist aber die einfache Tatsache, daß für Mozart das Problem der Formgebung in der Art, wie es sonst für die deutsche Kunst charakteristisch ist, nicht vorhandenist: nämlich als Zwiespalt zwischen Form und Inhalt, wobei es dann des Künstlers Aufgabe ist, die Form dem Inhalt entsprechend zu machen, im Ideal zu erreichen, daß gerade diese Form als der dem künstlerischen Inhalt gemäßeste Ausdruck erscheint. Mozart hat die Formen, die sich im Laufe der Zeit in der Musik ausgebildet haben, übernommen. Wir wollen bedenken, daß jede dieser Formen einmal etwas Neues war, daß sie einmal sich als der natürlichste Ausdruck eines bestimmten künstlerischen Wollens eingestellt hatte; daß sie gerade vermöge der Überzeugungskraft, der Ausdrucksrichtigkeit von der Gesamtheit als das einem bestimmten Kunstwollen Entsprechende erkannt und damit Gesetz wurde. Formen werden also erst dann in der Kunst etwas völlig Totes, wenn die Gefühlswelt, aus der heraus sie als natürliche Ausdrucksweise entstanden sind, vorbei ist. Ich habe schon oben nachzuweisen gesucht, daß Mozart der Periode vor uns angehört, daß sein Menschen- und Künstlertum in einer Zeit wurzelt, die in den wichtigsten Unterlagen von der unsrigen verschieden ist. Eine Fülle von Formen, vorab aber das Bedürfnis nach Form selbst, war jener Periode natürlich, während sie uns fremd geworden sind.
Wir müssen uns viel mehr gegenwärtig halten, als es gewöhnlich geschieht, daß in diesen Zeiten, die sich ja in ihrer ganzen Lebensbetätigung durch Streben nach formaler Ausgestaltung (Etikette) charakterisieren, jede Form an sich bereits ein starker Lebensausdruck ist; und auch ein bestimmter Lebensausdruck, der als solcher verstanden wird, so daß, wo diese Formen einem begegnen, die ihnen entsprechenden Gefühls- und Empfindungswerte sogleich geweckt werden. Wir können heute Tanzrhythmen aller Art hören, ohne daß sich bei uns das Gefühl des Tanzes einstellt; selbst bei dem doch noch recht jungen Walzer sind wir so weit, daß ein Chopin diese Form benutzen kann, um uns die Intimitäten seines Innenlebens mitzuteilen, in höchst subjektiver Weise, so daß wir bei ihm das Verhältnis haben, daß er eine vorhandene Form benutzt, um in sie einen dieser Form an sich gar nicht verwandten Inhalt hineinzugießen. Wenn so das Verhältnis eintritt, daß Kunstformen außerhalb unseres Gesamtlebensstehen, wenn sie uns als etwas Fertiges und für
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