Mozart - Sein Leben und Schaffen
eine Romantik der bildenden Künste und der Musik. Auf diesen beiden Gebieten ist aber eine zwiefache Romantik zu unterscheiden: die echte gesunde, die aus den durch jene literarisch-romantischen Studien geweckten Stimmungen, der dadurch gewonnenen inneren Naturanschauung und aus den reichen, von jener Romantik entdeckten nationalen Stoffen Anregung gewann zu einem neuen selbständigen Schaffen; daneben eine zweite, die man als historische Romantik oder vielleicht noch schärfer als die Romantik der Form bezeichnen kann. Jener ersteren hat die Malerei neben der zum Teil recht unglücklichen Historienmalerei, die einerseits allzusehr im Stofflichen blieb, andererseits von der formalen Romantik zu stark sich beeinflussen ließ, eine so köstliche Erscheinung wie Schwind und in seiner Gefolgschaft bis in die neueste Zeit Männer wie Böcklin und Thoma zu danken. Für die Musik brachte jene Romantik das Lied Schuberts und vor allem die Entwicklung der deutschen Oper zum Musikdrama. Dagegen bedeutete die formale Romantik die Unterjochung unter alte Formen, die einst groß waren, in denen die Vergangenheit herrliche Werke geschaffen hatte, die aber nun unlebendig und damit unwahr geworden waren. Die Schädigung, die die Historienmalerei dadurch erfahren hat, haben wir schon erwähnt; noch schwerer litt darunter die kirchliche Malerei und am allerschwersten die Kirchenmusik.
Gewiß war es ein wunderbarer Gewinn, daß man nunmehr die Werke der großen alten Kontrapunktiker ausgrub und vielfach auch zur Aufführung brachte. Aber es war ein schweres Verhängnis, wenn man nun in dieser alten Kunst nicht mehr eine Form, sondern die Form der kirchlichen Kunst sah. Verhängnisvoll war das für die Kirchenmalerei, weil bei der Gleichheit der vorgeführten Stoffe und der Formgebung im ganzen der Künstler beinahe zum Kopisten, jedenfalls zum Variantenerfinder erniedrigt war. Verhängnisvolleraber noch wirkte dieses Beginnen für die Musik. Im Gegensatz zur bildenden Kunst fehlt der Musik das Stoffliche, damit das für alle Zeiten Bleibende. Musik ist Aussprache des Empfindens, Künderin seelischen Lebens. Sie erheischt also immer einen Gegenwartsausdruck; sie kann nur wahr sein, wenn gegenwärtiges Empfinden darin ausgedrückt wird. Nun wird ja gerade die Kirche sagen, daß kirchliches Empfinden heute ebenso sei wie vor Jahrhunderten. Aber selbst wenn man das bis zu einem hohen Grade zugibt, erhebt sich als Hemmnis, daß dafür die musikalische Fühlweise sich vollständig umgewandelt hat.
Zwischen jener Zeit, in der die von dieser Romantik neu belebte Kirchenmusik geschaffen worden war, und der jetzigen liegt die schwerwiegendste Veränderung des gesamten musikalischen Empfindens, von der die Kunstgeschichte zu berichten hat. Der Unterschied zwischen der polyphonischen Kontrapunktik und dem späteren Musikstil bedeutet nicht nur eine Anwandlung in der musikalischen Formgebung, sondern auch die gänzliche Umkehrung der Einstellung der Hörweise für Musik . Das äußert sich am schärfsten darin, daß das Tonartensystem in den beiden Gruppen völlig verschieden ist. Also selbst wenn man wiederum einen polyphonen Stil entwickelte, wenn man wiederum an die Stelle der aus der Harmonie gewonnenen und von ihr gestützten Melodie das mehrfache Gegen- und Miteinander verschiedener gleichwertiger Melodien setzte, so bliebe doch die innere Hörweise eine verschiedene, und dieser heutigen Hörweise ist jene ältere Kontrapunktik fremd. Es gibt keinen heutigen Musiker und kann ihn schlechterdings nicht geben, der wirklich in den alten Tonarten hört. Wir können alte, aus diesen Tonarten herausgeschaffene Musik genießen; wir können in ihr Erzeugnisse von köstlicher Kunstvollendung bewundern, aber sie bleibt historisch. Ich gehe noch weiter. Wir können zugeben, daß gewisse Empfindungen – und in diesem Falle wären es gerade die kirchlichen – niemals wieder in der Kunstmusik einen ihnen entsprechenderen Ausdruck gefunden haben als in dieser kontrapunktischen Polyphonie. Aber es bleibt trotzdem dabei, daß ein Musiker von heute nicht wieder sein persönliches Empfindenwahrhaftig in diesen Formen aussprechen kann. Einfach, weil diese Formen für ihn historisch sind, weil sie eine zwangsweise Einstellung seiner musikalischen Sprache auf eine nicht mehr lebendige Musiksprache bedeuten. Noch viel weniger, als in einer toten Sprache wahrhaft lebendige Dichtung geschaffen wird, und beherrschte der betreffende Dichter diese tote Sprache auch
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