Mozart - Sein Leben und Schaffen
nur durch Musik völlig auszudrücken. Daher bei Mozart von allem Anfang an die Unmöglichkeit einer völligen Trennung von komisch und ernst. Die Menschen, die er uns vorführt, leben ihr ganzes Empfinden aus. So einen sich ernste, ja tragische Töne dem heitersten Spiel. Daß sich dieser Zug in Mozarts Jugendopern bereits ankündigt, darin liegt ihre große Bedeutung. Das war es vielleicht auch, was in einzelnen bedeutenden zeitgenössischen Künstlern, wie Hasse, die überschwenglichen Urteile hervorgerufen hat, von denen wir berichtet haben.
Es ist bezeichnend, daß sich dieser Zug auch in Mozarts Instrumentalmusik offenbart. Auch hier hat er das kantabile Element in die Allegrosätze der Sinfonie, des Konzerts eingeführt. Es gibt für ihn eben nichts, wo nicht das Herzensfühlen das Recht hätte, sich auszusprechen. Und schon jene erste Sinfonie, die er als achtjähriger Knabe geschrieben, zeigt in ihrem Hauptthema neben der charakteristischen Beweglichkeit und Feurigkeit die tiefe, fast melancholische Empfindung.
So erkennen wir in den Jugendwerken Mozarts deutlich die Elemente, deren wunderbar harmonischen Ausbildung und wechselseitigen Durchdringung wir seine Einzigartigkeit innerhalb der deutschen Kunst, ja innerhalb der Kunst der ganzen Welt verdanken. Da seine Meisterwerke in jene spätere Zeit fallen, in der die deutsche Kunstdurch die Literatur ein scharfes und neuartiges Gepräge erhalten hatte, fühlen wir nicht deutlich genug, daß sich in Mozarts Musik zum einzigen Male die Kräfte ganz verschiedener Kulturperioden glücklich vereinigt haben. Vielleicht war das gerade in Deutschland nur in der Musik möglich. Diese Musik hat unter den schweren Heimsuchungen, denen unser Vaterland ausgesetzt war, niemals so arg gelitten wie die Literatur. Und auch später konnte sie an dem Geisteskampfe nicht teilnehmen, der zur Befreiung führte. So war es bei ihr dann möglich, daß die Kräfte zweier sonst so entgegengesetzter Zeitalter nebeneinander wirksam sein konnten: indem die sinnlich-frohe, ritterlich-adlige Rokoko lustigkeit neben der weltschmerzlerischen Wertherstimmung stand, und beide durch die lyrische, aus der Tiefe heraufströmende Sehnsucht, wie sie aus dem lange unterdrückten Bürgertum Deutschlands herausgewachsen war, verbunden wurden. So enthält Mozarts Kunst ein Element, das auch Goethes glücklichste Lyrik nicht besitzt: das der ganz apollinischen Heiterkeit . Die echt deutsche Lyrik hatte nur durch die Überwindung der Anakreontik geboren werden können. Mozarts Musik aber einigte beide Elemente. Die Verbindung wäre vielleicht nur äußerlich, nur formal geblieben, wenn nicht das Leben dem Komponisten jene Kämpfe gebracht hätte, aus denen der Mensch erst die wahre Reife gewinnt, von denen aber Mozarts Kunst nicht kündet, außer durch die Tiefe und würdevolle Heiterkeit, die erst der Sieg verleiht.
Zweiter Teil
Wanderjahre
7. Mannheim
»Die Absicht der Reise, und zwar die notwendige Absicht war, ist und muß sein, einen Dienst zu bekommen oder Geld zu erwerben.« Diese Worte, die Leopold Mozart einige Monate nach der Abreise seinem Sohn schrieb, drücken klar des Vaters Lebenspläne aus.
An eine der damals üblichen Bildungsreisen hat dieser keinen Augenblick gedacht; selbst wenn er die Mittel dafür gehabt hätte, hätte er eine solche nicht für nötig gehalten. Leopold Mozart war ein ausgezeichneter Musikpädagoge und ein guter Kenner der zeitgenössischen Musik. Aber über die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung derselben gerade nach der Seite hin, wie sie sich vollzog, also nach der mehr geistigen, tiefer aus dem Erlebten heraus schöpfenden, hat er nicht gedacht. Vielleicht wäre ihm sonst doch wohl der Gedanke gekommen, daß sein Sohn noch keineswegs vollkommen reif war für die Welt, daß diesem Sohne bisher alle Berührung, jede Gelegenheit zur selbständigen Auseinandersetzung mit dieser Welt gefehlt hatte. Nein, in der Hinsicht war Vater Mozart keinerlei neuen Gedanken zugänglich. Von der Genieperiode, die um diese Zeit für die Literatur schon lange in Blüte stand, hatte er entweder in dem abgelegenen Salzburgnichts erfahren; oder, wenn es doch der Fall gewesen, hatte es sicher nur dazu gedient, ihn in seinen soliden Lebensanschauungen zu bestärken.
An eine soziale Revolution des Künstlerstandes, an eine Wandlung des Verhältnisses des Kunstschöpfers zur Welt, wie sie sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts für die Dichtung unaufhaltsam vollzogen hatte,
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