Mozart - Sein Leben und Schaffen
mit den Lehren; endlich mit einer Freudigkeit der Sinne begabt sein, die die wunderbare Ausbildung des kirchlichen Festewesens aufs tiefste empfindet: das ist eine Herzens- und Gemütsanlage, aus der heraus eine Kunst erblühen kann, die einerseits der rein persönliche Ausdruck des subjektiven Empfindens eines solchen Menschenkindes ist, und andererseits doch auch für die gesamte Menschheit die ideale Form des Bekenntnisses ihrer freudigen Gotteskindschaft bedeuten kann.
Mozart hat noch in späteren Jahren für diese Einstellung seines Empfindens zur katholischen Kirche Zeugnis abgelegt. Joh. F. Rochlitz (1769–1842), der bekannte Musikschriftsteller, berichtet das Begebnis, wahrscheinlich nicht in jedem einzelnen Wort getreu, aber der Hauptsache nach sicher wahrheitsgemäß. »Mozart war im Jahre 1789 in Leipzig. ›Unersetzlicher Schade,‹ sagte einer, ›daß es so vielen großen Musikern, besonders der vorigen Zeit, ergangen ist wie den alten Malern, daß sie nämlich ihre ungeheuren Kräfte auf meistens nicht nur unfruchtbare, sondern auch geisttötende Sujets der Kirche wenden mußten.‹ Ganz umgestimmt und trübe wendete sich Mozart hier zu dem andern und sagte, dem Sinne nach, obschon nicht auf diese Weise: ›Das ist mir auch einmal wieder so ein Kunstgeschwätz! Bei euch aufgeklärten Protestanten, wie ihr euch nennt, wenn ihr eure Religion im Kopfe habt, kann etwas Wahres darin sein, das weiß ich nicht. Aber bei uns ist das anders. Ihr fühlt gar nicht, was das heißen will: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem! Aber wenn man von frühester Kindheit, wie ich, in das mystische Heiligtum unserer Religion eingeführt ist;wenn man da, als man noch nicht wußte, wo man mit seinen dunkeln, aber drängenden Gefühlen hin sollte, in voller Inbrunst des Herzens seinen Gottesdienst abwartete, ohne eigentlich zu wissen, was man gehabt habe; wenn man diejenigen glücklich pries, die unter dem rührenden Agnus Dei hinknieten und das Abendmahl empfingen und beim Empfang die Musik in sanfter Freude aus dem Herzen der Knienden sprach: Benedictus qui venit usw., dann ist's anders. Nun ja, das geht dann freilich durch das Leben der Welt verloren, aber – wenigstens ist's mir so – wenn man nun die tausendmal gehörten Worte nochmals vornimmt, sie in Musik zu setzen, so kommt das alles wieder und steht vor einem und bewegt einem die Seele.«
Man kann das Urteil dahin zusammenfassen, daß Mozart keineswegs die religiöse, ja ausgesprochen kirchlich-katholische Gesinnung abging, aus der eine nach Form und Inhalt echte Kirchenmusik hätte hervorgehen können. Daß der Katholizismus damals eine andere Grundstimmung besaß als heute, beweisen zahlreiche Männer, deren Andenken nicht nur die Geschichte des deutschen Geistes, sondern auch die der katholischen Kirche hochhalten muß. Für diese Zeit einer durchaus irenischen kirchlichen Gesinnung, einer den Schwerpunkt in die Gefühlsseite des Religiösen verlegenden Andächtigkeit war Mozart mit seinem adeligen und tiefen Empfinden der geeignete Mann. Daß ihm, gleich Raffael, die Not und das Elend des Lebens hinter der Schönheit verschwand, gibt seiner Kunst mit ihrer doch nicht umsonst als »göttlich« bezeichneten Heiterkeit die Kraft, zu läutern und zu erheben, den Alltag in uns abzutun.
Mozarts Fehler, die Ursache, weshalb es ihm nun trotzdem nicht gelang, in dieser Zeit kirchenmusikalische Werke von unantastbarer Bedeutung zu schaffen, ist seine Jugend . Er war noch zu jung, um die überlieferten Werte kritisch daraufhin zu untersuchen, ob sie sich überhaupt für Kirchenmusik eigneten oder nicht. So schuf er innerhalb der üblichen Formen, und diese widerstreiten vielfach dem kirchlichen Charakter. Aber es ist nicht zu leugnen, daß vor allem die Messen in F- und D-dur aus dem Jahre 1774 zum mindesten Versprechungen einer wunderbaren Kirchenmusik im neuen Geiste sind, diewir bis heute nicht erhalten haben, und zwar nach den Richtungen der großartigen Feierlichkeit und der anmutigen Andacht hin. Bezeichnend ist es auch, wie Mozart in den ihm vorliegenden Texten die gefühlsmäßigen Stellen ihrer innersten Bedeutung nach erfaßt hat, während er gegenüber dem mehr Abstrakten und Symbolischen versagte. Auch darin offenbart sich die Jugendlichkeit des ja kaum Zwanzigjährigen. Daß fast alle übrigen Kirchenkompositionen Mozarts nicht auf der Höhe der beiden Messen stehen, daß sie dem Zeitgeschmack, ja sogar den persönlichen Wünschen des
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