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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Wirklichkeit mit solchen Gefühlen konfrontiert wurde, täuschte ich meine Reaktionen lediglich vor, wie ich es auch am Klavier getan hatte.
    Mit dieser Leere lebte ich, bis ich Mutter wurde. Seitdem musste ich nichts mehr vortäuschen. Jedes Lächeln, jede Träne, jedes Würgen meiner Babys löste in mir eine Erschütterung aus, die meine falschen Gefühle zertrümmerte. Ich wusste es schon lange. Ich war keine Fälscherin mehr. Ich kannte mich jetzt. Vor diesem Palais, das ich als Mädchen aus der Provinz betreten und als gefeiertes Wunderkind wieder verlassen hatte, fühlte ich mich so heiter wie eine, die einem aufregenden Fremden begegnet, den sie schon immer kennenlernen wollte.
    Ein Lakai huschte durch die Tore des Palais’ und winkte eine Kutsche heran, die vor der Kirche Am Hof wartete. Der Kutscher lenkte sein Gespann zu den Toren. Zwei Männerkamen aus Collaltos Anwesen und blieben neben dem Gefährt stehen.
    Der erste war Stadler. Er drehte seinen Hut aufgeregt in den Händen.
    Der andere Mann drückte Stadlers Arm, als wollte er ihm Mut machen. Er war groß und kräftig. Sein Gehrock war grün und dezent paspeliert.
    Der Lakai des Collalto klappte das Trittbrett der Droschke herunter. Ich konnte das Wappen auf der Tür, die er aufhielt, nicht erkennen, begriff jedoch, dass der große Mann eine wichtige Persönlichkeit sein musste. Er klopfte Stadler aufmunternd auf die Schulter.
    Was auch immer ihn beunruhigt haben mochte, Wolfgangs Freund grinste doch geschmeichelt von der Vertraulichkeit, die ihm dieser Adlige entgegenbrachte. Sein Lächeln gefror, als er mich bemerkte.
    Sein Begleiter folgte Stadlers Blick. Seine dunklen Augen entdeckten mich. Sie öffneten sich so weit, dass ich die Überraschung in ihnen ausmachen konnte. Er öffnete die Lippen, als wollte er etwas rufen, runzelte aber nur die Stirn und schwieg. Er lüftete den Hut zum Gruß.
    Ich knickste.
    Als ich den Blick wieder hob, stand er auf dem Trittbrett der Kutsche. Er machte eine kurze Bemerkung zu Stadler, der mit einem zögernden Nicken antwortete.
    Als seine Kutsche anfuhr, beobachtete mich der Adlige mit einem Gesichtsausdruck, der von Schmerz und Verlust gezeichnet schien. Für einen Augenblick wurde sein Blick weicher, und wir sahen uns an, als wäre es nicht unser erstes Zusammentreffen.
    Sein Kutscher fuhr einen Bogen um den Platz und dann Richtung Hofburg, wo die kaiserliche Familie lebte.
    Ein eisiger Windstoß rauschte am Palais vorbei und rissmir fast die Pelzkapuze meines Mantels vom Kopf. Ich blickte zum Tor des Collaltopalais’. Stadler war verschwunden. Ich zitterte vor Kälte und kam zu dem Entschluss, mich besser nicht länger im Freien aufzuhalten.
    Ich überlegte, ob ich all jene Wiener aufsuchen sollte, die seit dem weit zurückliegenden Konzert für Graf Collalto meine Familie in Salzburg für ein oder zwei Tage besucht hatten. Reisende Musiker und Schriftsteller, Adlige und Impresarios, sie alle hatten ihre Reisen unterbrochen, um das gesellige Musizieren, das mein Vater veranstaltete, zu genießen und die jungen Wunderkinder in ihrem Heim zu erleben. Doch meine Schritte trugen mich durchs Lampenlicht des Portals zur Tür einer Person, die an unserer provinziellen Gastfreundlichkeit nie teilgenommen hatte.

6

    Ein Dienstmädchen, das einen schweren Korb mit Kräutern und Geflügel gegen die Hüfte gestemmt hielt, zeigte mir Magdalena Hofdemels Haus in einer schmalen, dunklen Straße hinter dem Judenplatz. Die Fassadenfarbe war ein ausgewaschenes Blau wie die Iris einer alten Frau. In einer Nische über einem Fenster im zweiten Stock stand eine Statue der Heiligen Jungfrau. Die Pflasterung der Zufahrt bestand aus kleinen hölzernen Rechtecken, um den Lärm der Kutschenräder und Pferdehufe zu dämpfen.
    Ich stieg zwei Etagen durch ein breites Treppenhaus zur Hofdemelschen Wohnung empor. Es musste sich um die teuerste Unterkunft im Gebäude handeln, über der schäbigen Straße gelegen, und ohne den steilen Aufstieg über die Steintreppe bis zu den Mansarden. Als sie mir gesagt hatte, wo Magdalena wohnte, hatte Constanze auch erwähnt, dass ihr Mann beim Kanzleigericht angestellt gewesen war. Merkwürdig, dass ein einfacher Justizbeamter ein so hohes Gehalt erzielte, um sich eine Wohnung in derart guter Lage leisten zu können.
    In der Eingangstür wurde ein Guckloch aufgeschoben. Ein Hausmädchen reckte sich auf Zehenspitzen, um an den Türspion heranzukommen, und blinzelte mir im dunklen Treppenhaus

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