Mozarts letzte Arie
so schuldig, Madame de Mozart. So schrecklich schuldig.» Sie schnäuzte ins Taschentuch. «Sie dürfen nicht schlecht von meinem Franz denken. Obwohl das niemals meine Absicht war, bin ich mir sicher, dass ich ihn dazu getrieben habe.»
«Sie? Wirklich Sie?»
Sie schluckte heftig und bemühte sich um einen heiteren Ausdruck. «Wolfgang hat oft von Ihrer Virtuosität am Klavier erzählt. Er sagte immer, dass ich fast so gut wie Sie werden könnte, wenn ich sehr hart an mir arbeiten würde. Würden Sie etwas für mich spielen? Etwas von Ihrem Bruder?»
«Er hat von mir gesprochen?»
«Spielen Sie. Es beruhigt mich, einer guten Pianistin zuzuhören.»
Erst als ich den Dreiklang des Auftakts anschlug, wurde mir klar, dass ich Wolfgangs Adagio in b-Moll für sie spielen würde. Das Stück floss mir ohne jede Überlegung aus den Fingern. Augenblicklich entfernte ich mich aus der Gesellschaft der Frau mit dem zernarbten Gesicht. Stattdessen war ich bei Wolfgang. Ich wurde ruhig und genoss die Symmetrie der Musik selbst dann noch, als ich die Spannung spürte, die mein Bruder durch die überraschenden Tonartwechsel hineingelegt hatte.
Über Magdalenas Gesicht flossen noch mehr Tränen. Aber nun schienen sie aus glücklichen Erinnerungen zu strömen. Sie lächelte mich an.
Als ich die Coda erreichte und das Stück zu B-Dur überging, öffnete sich die Tür. Eine Frau, die mehrere Jahre jünger war als ich, stand da in einem dicken Pelzmantel; sie wurde von einem gedrungenen, dunkelhäutigen Dienstmädchen an der Hand geführt. Ihre Augen rollten in den Höhlen, die Pupillen so unter den Schädel verdreht, dass nur das Weiße sichtbar war.
Ich zögerte, und die blinde Frau spürte es. Sie deutete mit einer Hand eine Bewegung an, dass ich fortfahren möge. Als sie ihre Pelzmütze abnahm und dem Mädchen zuschob, erkannte ich sie als Maria Theresia von Paradis, eine Klaviervirtuosin, die unsere Familie einmal in Salzburg besucht hatte, als sie nach London und Paris unterwegs war, um dort aufzutreten.
Paradis lauschte dem Schweigen nach dem letzten Ton. Sie hob die Nase, als söge sie den Duft der Musik ein. Sie schüttelte sich den Mantel von den Schultern; Magdalenas Hausmädchen fing ihn auf. Sie wandte ihren Körper in Richtung des Sofas, und das dunkle Mädchen führte sie zu Magdalena.
«Meine Liebe.» Paradis trat dicht an Magdalena heran und ließ ihre Finger über die Narben auf dem Hals der Frau gleiten. «Besser?»
«Viel besser.»
Das Dienstmädchen stapfte zur anderen Seite des Zimmers, lehnte sich an den Fensterrahmen und starrte in die Dunkelheit des Abends hinaus.
Magdalena ergriff Paradis’ Arm und dirigierte sie neben sich aufs Sofa. «Woher wusstest du, dass ich hier auf dem Sofa sitze?», sagte sie.
«Meine Kleine, als ich hereinkam, hörte ich zwei Personen im Zimmer atmen. Diejenige, die Klavier spielte – es tut mir leid, das zu sagen –, warst du offensichtlich nicht.» Paradis streichelte Magdalena über den Unterarm. «Wer ist unser Pianist?»
«Es ist Wolfgangs Schwester.»
Paradis streckte die Hand aus, bis ich sie ergriff. «Das ist schon sehr lange her», sagte sie.
«Acht Jahre», erwiderte ich.
«Seitdem habe ich hunderte von Konzerten gegeben undeinige Opern geschrieben. Was haben Sie unterdessen gemacht?»
Hätte ich nicht gewusst, wie kraftvoll die Finger einer Pianistin sind, hätte ich meine Hand zurückgezogen. «Ich habe einen Bezirkspräfekten geheiratet. Ich lebe in einiger Entfernung von Salzburg.»
«Es ist klar, dass Sie weiterhin fleißig geübt haben. Ihr Talent haben Sie nicht verloren.»
«Sie sind zu liebenswürdig.»
«Aber ein Konzert ist keine einfache Sache.»
Ihr Ton klang scharf. Ich begriff, dass Paradis beleidigt war, weil Stadler nicht sie als Solistin für das Benefizkonzert in der Akademie ausgewählt hatte. Hier war also eine Person, dachte ich, die nur allzu bereit war, mich durchfallen zu lassen, wenn ich Wolfgangs Konzert spielen würde.
«Ganz recht. Keine einfache Sache», sagte ich.
«Trotzdem ist es offenbar einfacher, als sich hinzusetzen und seinem jüngeren Bruder einen simplen Brief zu schreiben. Seinem einzigen lebenden Verwandten.»
Magdalena zupfte Paradis am Kleid. «Theresia», flüsterte sie.
Wie es schien, hatte Wolfgang diesen Frauen nahe genug gestanden, um sich bei ihnen über mich zu beklagen. Nach dem Tod meines Vaters hatte es finanzielle Auseinandersetzungen gegeben. Doch war noch mehr zwischen uns getreten.
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