Mozarts letzte Arie
entgegen.
Als sie mich ins Wohnzimmer führte, steigerte sich meine Verwunderung über den Luxus der Hofdemelschen Wohnung noch weiter. Selbst in Anbetracht des schlichten Stils,der damals in Mode war, wirkte das Mobiliar üppig. Ich berührte mit der Fingerspitze einen vergoldeten, mit sehr weicher Seide gepolsterten Sessel, setzte mich aber nicht. Das Klavier zog mich an. Es war noch ganz neu, gebaut von Stein in Augsburg, dem Instrumentenbauer, den mein Bruder wegen der Subtilität seiner Pedaleffekte stets geliebt hatte.
Ich legte die rechte Hand auf die Tastatur. Vor zehn Jahren hatten Wolfgang und ich bei unserem letzten gemeinsamen Auftritt auf zwei Steinklavieren gespielt. Meine Finger glitten durch eine zarte Melodie, den zweiten Satz des Konzerts, das ich am nächsten Abend spielen sollte. Einige Töne schlug ich um den Bruchteil eines Taktes zu spät an. Mein Vater hatte mir einmal geschrieben, dass Wolfgang es so gespielt hätte.
Die Tür wurde kraftvoll aufgerissen. Eine etwa fünfundzwanzigjährige Frau trat ein. Ihr Blick verhieß Ärger. Sie funkelte meine Hand an, bis ich sie vom Klavier nahm, und dann richtete sie ihren zornigen Blick auf mein Gesicht.
Ich atmete hörbar tief ein, und die Frau schien ihren Zorn zu vergessen. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und sie hielt sich einen Fächer vor Nase, Mund und Kinn. Obwohl ich nur aus Überraschung über ihr plötzliches Eintreten nach Luft gerungen hatte, vermutete ich, dass sie glaubte, es sei eine Reaktion auf ihre unübersehbaren Verletzungen. Ihr Gesicht war mit schrecklichen, schorfigen Striemen übersät, die Haut zwischen den Schnitten gelb und grün geschwollen.
Ich riss mich zusammen und ging auf sie zu. «Madame Hofdemel», sagte ich, «ich bin …»
«Ich weiß, wer Sie sind. Das ist ja offensichtlich, wenn man Sie ansieht. Mein Mann hat mir nicht das Augenlicht genommen, als er mein Gesicht verstümmelt hat.» Ihre Stimme klang barsch und verbittert.
Als Selbstmörder musste ihr Mann der ewigen Verdammnis anheimgefallen sein. Sie zuckte zusammen, als wäre ihrbeim Sprechen der Schorf auf einer Wunde aufgeplatzt, und ich dachte, dass sie die Verdammte war. Ich senkte das Kinn. Ihr Blick wurde weicher; sie legte mir eine Hand auf die Wange und hob mein Gesicht an.
«Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit.» Ihr Gesichtsausdruck wurde angespannt und melancholisch. «Der Wundschmerz überkommt mich, und dann vergesse ich mich.»
Sie führte mich zu einem grünen Leinensofa. Sie setzte sich so aufrecht auf die Kante wie vor einem Klavier, und ich erinnerte mich daran, dass sie Wolfgangs Schülerin gewesen war.
«Das Stein. Was für ein herrliches Instrument», sagte ich.
«Als ich mit dem Unterricht bei Wolfgang anfing, machte er gegenüber meinem Mann eine Bemerkung über die Qualität der Steinklaviere. Mein Franz bestand darauf, eins anzuschaffen, obwohl ich ihm sagte, dass es viel zu teuer sei. Es hat ihn dreihundert Gulden gekostet. So war er halt, mein Franz. Großzügig, liebevoll. Er war der beste Ehemann bis – bis dahin.»
Magdalena zog ein Spitzentuch aus dem Ärmel und führte es an die Augen. Dabei senkte sie den Fächer von ihrem Gesicht, und ich konnte sehen, dass sie hübsch, ja schön gewesen sein musste, bevor ihr selbstmörderischer Mann sie attackiert hatte. Die Stirn war etwas zu hoch, doch ihre Haare fielen in braunen Ringellocken zurück. Ihre Augen waren braun und weich. Sie biss sich auf die volle Unterlippe; ihre Zähne waren so weiß, dass ich mir gut vorstellen konnte, wie bezaubernd sie wirken mussten, wenn sie von einem Lächeln entblößt würden.
«Franz saß immer da, wo wir jetzt sitzen, und hörte mir den ganzen Abend beim Klavierspielen zu», sagte sie. «Ich hegte Hoffnungen auf eine Konzertkarriere. Aber das ist jetzt alles vorbei.»
Ich zwang mir ein Lächeln ab, als hätte mir jemand in den Handrücken gezwickt. Ich war zu ihr gekommen, weil ich wissen wollte, welche Rolle ihr Mann beim Tod meines Bruders gespielt haben konnte. Als ich nun aber neben ihr saß, wusste ich nicht, wie ich das Thema auf eine Weise ansprechen sollte, die nicht wie ein weiterer Schnitt in die Haut ihres zerstörten Gesichts wirken musste.
Ich räusperte mich und suchte nach einer anderen Möglichkeit, mit ihr ins Gespräch zu kommen. «Hatte Wolfgang die Absicht, gemeinsam mit Ihnen aufzutreten?»
«Das hat er mit den meisten seiner Schüler getan. Er war nicht daran interessiert, junge Damen zu unterrichten,
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