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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Dreiecke in Stadlers Gästebuch gezeichnet hatten. Lichnowsky dankte Stadler für die Vorstellung, indem er die Augenlider senkte. Er war um die dreißig, trug einen schlichten schwarzen Gehrock aus Samt und eine mit Gold durchwirkte Weste. Seine Kleidung verströmte den Duft von Rosenwasser, aber in seinem Atem entdeckte ich den strengen Geruch gerollter Tabakblätter, die als
Sevillas
bekannt sind.
    «Würde Madame de Mozart mir die Ehre erweisen, mich in die Konzerthalle zu begleiten?» Lichnowsky verneigte sich und nahm meine Hand. Er bewegte sich so, als hätten seine Gliedmaßen Scharniere wie die Puppen des Marionettentheaters des Kaisers in Schönbrunn.
    Er führte mich durch eine breite Doppeltür in einen prächtigen Saal. Zwischen einem Stuckrelief bedeckte rosa und weißer Marmor die Wände, um den Effekt antiker Säulen zu erzielen. Die griechischen Gestalten des Deckenfreskos symbolisierten die akademischen Disziplinen, die an der Universität gelehrt wurden.
    Der Saal war vom Stimmengewirr von etwa vierhundert Personen erfüllt. Viele stammten aus der höchsten Gesellschaft, saßen auf ihren Stühlen mit einer starren Bewegungslosigkeit, die mich an die Könige und Königinnen erinnerte, vor denen ich als Mädchen gespielt hatte. Unter jenen, die von niedrigerem Stand waren, fiel mir größere Lebhaftigkeit auf. Es handelte sich wahrscheinlich um wohlhabende Kaufleute. Wolfgang hatte oft erzählt, dass der Adel nicht mehr über hinreichende Mittel verfügte, um sich eigene Hausorchester leisten zu können, weshalb er Gruppen von Geschäftsleuten zusammengeführt hatte, um seine Konzerte zufinanzieren. Sie waren heute Abend gekommen, um zu zeigen, dass die Freude an seiner Musik nicht mit ihm gestorben war.
    Lichnowsky führte mich in die erste Reihe. Er verbeugte sich aus der Hüfte vor einigen Leuten, die um uns herumsaßen.
    In der ersten Reihe wandten alle den Kopf, um zu sehen, wer angekommen war. Alle außer einem Mann. Der Baron van Swieten starrte stumm und starr nach vorn. Indem ich einen Seitenblick auf seinen Platz in der Mitte der ersten Reihe warf, konnte ich ihn unbemerkt mustern.
    Er war ein stattlicher Mann. Sein Gehrock aus reifgrauem Stoff war mit Silber bestickt. Seine Hände ruhten auf dem Silberknauf eines Spazierstocks, den er, die Spitze auf den Marmorboden gestemmt, aufrecht hielt. Er war etwa zehn Jahre älter als ich und hatte sehr schwarzes Haar. Auf Wangen und Kinn lag ein kräftiger Bartschatten.
    Swieten ignorierte das Geplauder um sich herum und blickte mit schmerzlicher Verwunderung zum Klavier. Ich hatte den Eindruck, als wollte er Wolfgang wieder ins Leben zurückrufen, um ihn noch einmal spielen zu hören. Er hatte die machtvolle Ausstrahlung eines Mannes, der daran gewöhnt ist, dass ihm seine Wünsche erfüllt werden. Weil dieser einzige, tief empfundene Wunsch unerfüllbar bleiben musste, wurde sein Blick aus Ärger noch intensiver.
    Lichnowsky berührte meinen Ellbogen und deutete auf meinen Sitz.
    Nachdem wir Platz genommen hatten, redete der Prinz so leise in Richtung der kunstvollen Kristalllüster neben der Bühne, dass ich zuerst gar nicht begriff, dass er mich ansprach.
    «Ich darf mich wohl als einen guten Freund Ihres Bruders bezeichnen, Madame», sagte er. «So gut, wie es zwischen zwei Männern von so unterschiedlichem Stand möglich ist. Sie verstehen schon.»
    «Mein Bruder war sich der Ehre, die Sie ihm angedeihen ließen, zweifellos bewusst, mein Prinz.»
    «Ich könnte ihn fast als meinen Gefährten bezeichnen. Wir sind gemeinsam gereist.»
    Ich gebe zu, dass ich vergaß, mit wem ich sprach, weil Wolfgang nur dann auf Reisen ging, wenn ihm am Ende bezahlte Auftritte zugesichert wurden. «Sie sind mit ihm aufgetreten?»
    Lichnowskys Augenbrauen bebten vor Entrüstung. Wie alle Aristokraten hielt auch er die öffentliche Aufführung von Musik für eine Aufgabe, die nur Dienern zukam. «Wir sind gemeinsam nach Berlin gereist», sagte er.
    «Eine recht weite Reise.»
    «Die uns einander sehr nahegebracht hat.»
    Ich erinnerte mich, dass Magdalenas Mann meinem Bruder Geld für diese Reise geliehen hatte. Ich fragte mich, wofür er eigene Mittel benötigt haben könnte, wenn er mit einem Prinzen auf Reisen war.
    «Mein Bruder ist nach Berlin gereist, weil er sich eine Stellung am Hof des Preußischen Königs erhoffte. Darf ich fragen, warum Sie dorthin gereist sind?»
    «Meine Familie besitzt Güter in der preußischen Provinz Schlesien. Es gab einige

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