Mozarts letzte Arie
ahnte ich die Gefahr, wie ich auch das Innere der ganzen Kirche nur aus einigen im Abendlicht sichtbaren Säulen und Pfeilern erahnen konnte. «Die in Ihrer Loge aufgemalte Pyramide. Der ägyptische Garten des Königs von Preußen.»
Der Prinz hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. «Ja, verdammt, Frau! Der König von Preußen ist Freimaurer.Er ist Mitglied einer Loge, die mit der, der Wolfgang und ich angehören, verbrüdert ist.»
Eine Wolke musste vorbeigezogen sein, weil ein Streifen Mondlicht durch das Turmfenster in der Mitte der Kuppel brach. Ich blinzelte zur mit Gold überladenen Kanzel. Ich zuckte zurück, weil ich dachte, dort eine Bewegung zu sehen.
Lichnowsky packte mich fest am Handgelenk. «Ihr Bruder ist eines natürlichen Todes gestorben. Er war sein Leben lang durch Krankheiten geschwächt; das wissen Sie doch. Aber wenn Sie weiter Fragen stellen, werden Ihre Zweifel der Geheimpolizei des Kaisers zu Ohren kommen. Man wird sich dann fragen, ob an Wolfgangs Tod nicht doch etwas verdächtig ist. Man wird nachforschen. Man wird keinen Beweis für einen Mord finden. Doch im Lauf dieser Nachforschungen könnte man den wahren Grund für Wolfgangs Reise nach Berlin aufdecken. Was glauben Sie wohl, was das für uns in der Loge bedeuten würde?»
«Es würde nach Spionage aussehen», sagte ich. «Nach Landesverrat.»
«Verhandlungen mit dem König von Preußen, dem größten Feind unseres Kaisers. Durch eine Geheimgesellschaft, die bereits jetzt unter strengen juristischen Auflagen steht. Ja, in der Tat, Landesverrat.»
Wir verließen die Kirche. Das Kutschenchaos auf dem Graben hatte sich abgeschwächt. Lichnowsky führte mich an der Pestsäule vorbei. Auf seiner Oberlippe glänzte Schweiß.
«Zu Ihrem Gasthof, Madame», sagte er.
Die Angreifer, die mich in der Gasse überfallen hatten, waren vielleicht zu meinem Quartier weitergezogen. Unter den Menschen im Schankraum war Lenerl in Sicherheit. Ich sollte mich jedoch besser fernhalten. «Ich gehe lieber zu meiner Schwägerin.»
Auf Lichnowskys Gesicht war die übliche Steifheit zurückgekehrt, doch entdeckte ich darunter ein Zucken.
Am Tor zu Constanzes Hof lüftete der Prinz seinen Hut. «Sie können mich fast jeden Morgen in Jahns Café an der Ecke Himmelpfortgasse finden. Direkt hinter dem alten Winterpalais von Prinz Eugen.»
«Ich werde Sie da bestimmt aufsuchen.»
«Es wäre mir eine Freude.» Er ging durch die Rauhensteingasse davon.
Von oben aus der Wohnung drang eins von Wolfgangs einfachsten Menuetten auf die Straße. Ein Kind saß am Klavier, oder zumindest jemand, der wie ein Kind spielte. Das Tempo war ungleichmäßig, und die Töne wurden unsicher angeschlagen.
Auf der Treppe fiel mir ein, dass ich Lichnowsky nicht nach dem Zweck von Wolfgangs Auftrag in Preußen gefragt hatte. Was hatte sich seine Wiener Loge davon erhofft, ihn hinzuschicken?
Ich lief durch den Eingang zurück, aber der Prinz war bereits um die Ecke gebogen und verschwunden. Die Straße lag leer und still – abgesehen von den falschen Tönen, die oben am Klavier meines Bruders gespielt wurden.
18
Constanze begrüßte mich mit einem zerstreuten Lächeln. Sie beauftragte ihr Dienstmädchen, mir ein Glas Glühwein zuzubereiten, und führte mich ins Wohnzimmer.
Am Klavier stolperte der kleine Karl durch das Menuett. Als ich näher trat, rutschte er vom Klavierhocker und versteckte sich hinter der Couch.
Ein massiger Mann stand über Wolfgangs Stehpult gebeugt und stützte einen Stiefel gegen die Verstrebung. Stöhnend fasste er sich mit einer Hand ans Kreuz, richtete sich auf und wandte sich mir zu. Das Grinsen des preußischen Gesandten ähnelte wieder dem eines gut gelaunten Jägers.
«Madame de Mozart.» Er verbeugte sich.
Überrascht wandte Constanze mir den Kopf zu.
«Ich habe Baron Jacobi heute Nachmittag in Baron Swietens Salon kennengelernt», erklärte ich.
Der Gesandte schritt mit geschwollener Brust durch den Raum. In der Hand hielt er ein Notenmanuskript, und ich sah, dass er noch mehr Blätter, die auf dem Pult aufgestapelt waren, durchgesehen hatte.
«Ich habe mich entschlossen, mit meiner Auswahl aus Maestro Mozarts Manuskripten unverzüglich zu beginnen», sagte er. «Mein Souverän ist sehr daran interessiert, die Rechte an den größten dieser Werke zu erwerben. Ich hielt es für das Beste, nicht länger zu warten. Sonst bietet jemand anderes vielleicht noch mehr.»
Das Mädchen kam mit einem Glas Glühwein auf
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