Mozarts letzte Arie
zusammengerollten Hund unterm Arm, in ihrem Bett.
Karl saß aufrecht in seinem Nachthemd. Seine dunklen Augen waren traurig, sein Gesicht so bleich wie draußen der Mondschein. Ich legte einen Finger an die Lippen und ging an dem schlafenden Mädchen vorbei durch die Küche hinaus in den eiskalten Ausklang der Nacht.
Im Stephansdom flackerte meine Kerze empor zu den Deckengewölben über den reich verzierten Kupferlampen, die an langen Ketten hingen. Ich war die vertraute Dorfkirchezu Hause in St. Gilgen gewohnt. In der Kathedrale kamen mir die hohen, lichtlosen Räume schwer und erdrückend vor.
Ich fand meinen Platz zwischen den zitternden Gläubigen, ließ Wachs auf die Banklehne vor mir tropfen und drückte das Ende der Kerze hinein, bis sie fest stand.
Die Geistlichen schritten durch den Mittelgang, sangen eine lateinische Antiphon und schwenkten an klirrenden Ketten Weihrauchfässchen. Zwei Priester halfen dem ältesten unter ihnen auf die Knie, damit er vor dem Altar seine Ehrerbietung erweisen konnte, und hoben ihn dann auf einen Stuhl. Sie legten ihm seine Gewänder an, und er verkündete den Namen der Dreifaltigkeit. Mit dünner Stimme sagte er dem Herrn Dank, dass er uns durch diese Nacht geleitet hatte.
Ich schloss die Augen, dankte Gott, dass er mich vor meinen Angreifern geschützt hatte, und betete für Giesekes Sicherheit.
Der Priester sprenkelte Weihwasser vor sich in die Luft. Auf Griechisch erflehten wir dreimal das Erbarmen Unseres Herrn:
Kyrie, eleison. Kyrie, eleison. Kyrie, eleison.
«Das
Kyrie
war, wie ich fand, der beeindruckendste Teil von Maestro Mozarts Requiem.»
Schatten verdunkelten das Gesicht des Mannes, der mich aus dem Gang ansprach. Ich blickte ihn verblüfft an.
Er nahm den Hut ab, legte ihn auf die Bank und setzte sich neben mich. Mit einem leichten Ruck richtete Graf Pergen seine Perücke und lächelte mir geheimniskrämerisch zu. Von der Kälte draußen tränten seine Augen ein wenig. Eine Träne lief über die geplatzten Venen auf seiner Wange.
Dass seine Augen weinen konnten, wenn auch nur vor Kälte, überraschte mich ebenso sehr, wie ihn an meiner Seite zu sehen.
«Die Darbietung des Requiems in St. Michael war erstklassig», sagte er.
Die Gemeinde sang das
Gloria.
Pergens Stimme war ein scharfer, aber nicht unschöner Bariton. Mit einem Anflug von Leiden auf dem Gesicht blickte er zum Kruzifix über dem Altar, als kenne er den Schmerz einer solchen Hinrichtung.
Als die Hymne vorbei war, zog Pergen eine Augenbraue hoch und lächelte. «Was hat der preußische Gesandte gestern Abend in der Wohnung Ihres Bruders gesucht?», fragte er.
Ich sah ihn mit großen Augen an. Er schlenkerte mit dem Handgelenk, als wäre es keiner Erklärung wert, woher er derlei Dinge wusste.
«Sind Sie mir hierher gefolgt?», sagte ich.
«Ich gehe jeden Morgen zur Frühmesse. Ich habe eine gesunde Furcht vor unserem Herrn, und außerdem schlafe ich nur wenig. Gleichwohl sitze ich üblicherweise in einer der vorderen Bänke. Sie haben recht, dass es kein Zufall ist, wenn ich mich heute Morgen auf diesem bescheidenen Platz einfinde.»
Er öffnete die Handfläche. «Sie wollten mir etwas über den preußischen Gesandten erzählen, Madame?»
Meine Kehle war trocken, und ich hustete. «Er hat einige von Wolfgangs Partituren gekauft.»
«Nur Partituren? Sonst nichts?»
«Was könnte denn da sonst noch sein?»
«Liebe Dame, die Possen und das alberne Lachen Ihres Bruders mögen manche Leute getäuscht haben, ihn für einen harmlosen Harlekin zu halten. Aber meine Aufgabe besteht darin, die Wahrheit über einen Menschen herauszufinden. Ihr Bruder hatte einen bemerkenswerten Verstand. Leider hat der ihn dazu verführt, sich eine unselige Philosophie zu eigen zu machen und Umgang mit gefährlichen Freunden zu pflegen.» Pergen kniff sich in die Nasenwurzel, als schmerzten seine Nebenhöhlen. «Warum waren
Sie
da? Im Heim Ihrer Schwester?»
«Um in Sicherheit zu sein.»
In der Bank vor uns drehte sich eine Dame um und warf den Plaudernden hinter ihr einen strengen Blick zu. Pergen beugte sich zu seiner Kerze vor, damit sie sein Gesicht erkennen konnte. Sie schluckte heftig und senkte den Blick wieder auf das Messbuch in ihren Händen.
«Sie haben also in der Wohnung Ihres Bruders Zuflucht gesucht. Fahren Sie fort.» Der Graf legte den Kopf zur Seite. Eine Frage.
«Vor einem Anschlag», sagte ich. «Ein Anschlag auf mein Leben und das Leben eines Herrn, nachdem wir Baron van Swietens
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